Bildgewalt / Gewaltbild.
Über die Macht der Bilder

Die Ausstellung „Image Wars. Macht der Bilder“ im Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien vereint Werke der Künstler_innen Kader Attia, Cana Bilir-Meier, Melvin Moti, Rabih Mroué, Mario Pfeifer und Marlies Pöschl. Kuratorin Jana Franze schreibt über Bildgewalten und Gewaltbilder dieser künstlerischen Arbeiten und die rezeptionsästhetische Intention, die sich hinter ihrer Show verbirgt.

MODERATORIN: „Der Richter sagt zum Abschluss: „Der Fall hätte wahrscheinlich kein Aufsehen erregt, wenn das Supermarktvideo nicht ins Netz gestellt worden wäre. So aber ist eine emotionale Lawine entstanden, die zum Schluss bei mir, bei Gericht gelandet ist.““

MODERATOR: „Er würde helfen, die Lawine einzudämmen und halte die Einstellung des Verfahrens für eine sehr kluge, vernünftige und angemessene Entscheidung.“

Der Moderator schleckt einen Finger voll Erdnussbutter ab und blickt direkt in die Kamera. Die Moderatorin tut es ihm gleich und beißt in einen Schokokuss.

MODERATOR: „Und?“

MODERATORIN: „Wie hätten Sie sich verhalten?“[1]

Dialogisch-informativ rekonstruiert Mario Pfeifer in seiner 2-Kanal-Videoinstallation „Again / Noch einmal“ (2018) einen realen Fall zwischen Zivilcourage und Selbstjustiz: Die Schauspieler Dennenesch Zoudé und Mark Waschke führen als Moderatoren durch das Geschehen um den aus dem Irak geflohenen Schabas Al-Azis. Dieser war 2016 nach einem Streit mit einer Supermarktkassiererin im sächsischen Arnsdorf von vier Männern gewaltsam an einen Baum gefesselt worden. Im April 2017 sollte es zum Prozess kommen, doch Al-Aziz, der als Zeuge aussagen sollte, wird kurz zuvor erfroren im Wald aufgefunden und der Fall rasch eingestellt. Zeoudé und Waschke stellen das Geschehene in einer Supermarkt-Kulisse nach, fragen, antworten und zeigen das durch einen weiteren Kunden aufgenommene und über Social Media verbreitete Handyvideo, das im späteren Gerichtsprozess als essentielles Beweismittel fungierte. Auch Pressestimmen, Gegendarstellungen und Stellungnahmen der Justiz fließen in ihre Erzählung ein. Dem gegenüber stehen die Einschätzungen von zehn Bürger_innen mit unterschiedlichen Migrationserfahrungen zu dem Vorfall und seinem juristischen Nachspiel. Die direkte Ansprache des Publikums nimmt, wie in dem obenstehenden Zitat deutlich wird, innerhalb der Arbeit eine zentrale Rolle ein. Es wird mehrmals von den Moderatoren einbezogen, aufgefordert zu urteilen, wird gezielt zwischen Emotion und Faktencheck ins Schwanken gebracht und in die Verantwortung genommen.

Diese tragische Geschichte über Fremdenfeindlichkeit, Zivilcourage und Selbstjustiz verdeutlicht multiperspektivisch mit welcher juristischen, politischen und sozialen Schlagkraft die aktuelle Ökonomie der Aufmerksamkeit durch visuelles Material gesteuert wird: Das Bild wiegt in der gegenwärtigen visuell orientierten Kultur stärker, als das gesprochene oder geschriebene Wort. Unser Verhältnis dazu hat sich seit der elektronischen Revolution stark verändert – mehr Bilder werden konsumiert, produziert und verbreitet. Um nachfolgende Intention, Modellierung, Inszenierung, Framing, Manipulation und Zensur greifbar zu machen ist besondere Sensibilität in Bezug auf unser Rezeptionsverhalten gefragt. Judith Butler benennt mit dem „Akt des ungehorsamen Sehens“[2]die Interpretation der uns durch den bereits gesetzten Rahmen aufgezwungenen Interpretation, der hinter dem Bild liegenden Politiken. Zu einem solchen „ungehorsamen Sehen“, einer bewussten und verantwortungsvollen Rezeption von visueller Repräsentation, möchte die Gruppenausstellung „Image Wars. Macht der Bilder“ im Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien in Graz animieren. Die Show vereint daher sechs Videokunstwerke der internationalen Künstler_innen Kader Attia, Cana Bilir-Meier, Melvin Moti, Rabih Mroué, Mario Pfeifer und Marlies Pöschl, die die Funktion und Gewalt von Bildern thematisieren.

Visuelles Material entfaltet seine Schlagkraft am deutlichsten im Rahmen von politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen: Bilder mobilisieren die Massen, schüren Angst, tragen zur politischen Meinungsbildung bei, werden systematisch im Rahmen von Bildpolitik genutzt und damit im übertragenen Sinne als Waffen eingesetzt. Von einem „Krieg der Bilder“[3]ist die Rede: „Heute operiert der Staat auf dem Feld der Wahrnehmung und, allgemeiner; des Darstellbaren, um die Affekte zu kontrollieren und die Affekte zu antizipieren, die zu politischer Opposition gegen den Krieg führen und sie beflügeln.“[4]So ist das gewaltvolle Potential von Fotografien in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß in die Rechtfertigung politischer Haltungen und Aktionen involviert. „Image Wars“ legt den Fokus aus diesem Grund nicht bloß auf die Bildgewalt, sondern auch auf das Abbild von Gewalt. Die im Ausstellungsraum eingefassten visuellen Repräsentationen von Macht, Zerstörung und Leid gehen dabei mit der zunehmend auf Social Media geschehenden Berichterstattung Hand in Hand. So thematisiert „The Pixelated Revolution" (2012) von Rabih Mroué den Einsatz von Smartphones während der syrischen Revolution und die Wirkung der über virtuelle und virale Kommunikationsplattformen geteilten, teils grausamen Amateuraufnahmen aus der Krisenregion. Die Lecture-Performance, die der Künstler ursprünglich für die documenta13 konzipierte, geht von einer erschreckenden Handyvideo-Aufnahme aus, in der der Führer der Kamera einen Scharfschützen im Bild einfängt, der direkt in die Linse blickt, zielt und abdrückt. Mroué nennt diesen Augenblick, in dem sich Bildaufnahme und Schuss treffen, ein „Double Shooting“ und stellt innerhalb seiner Lecture heraus, dass der Blick (und der Schuss) des Schützen nicht nur sein Gegenüber, sondern damit auch das Publikum trifft. Ähnlich wie „Again / Noch einmal“ benennt „The Pixelated Revolution" so die gesellschaftliche Verantwortung gegenüber dem Gebrauch von Bildern und zeigt zudem die komplizierten Verstrickungen von politischem Aktivismus, der Fragilität des menschlichen Körpers und populären Technologien in der Realität des Krieges.

Mediatisierte Gewaltdarstellungen sind manifestierter Bestandteil unserer Kultur: Sie finden sich in zum Teil hochgradig affizierender Form in der religiösen, wie profanen Ikonographie, sind Motive berühmter Gemälde der Kunstgeschichte, werden im Theater nachgestellt und in filmischen Hollywood-Klassikern inszeniert. Jeder ist ihnen im Zeitalter der Digitalisierung bereits virtuell begegnet, sei es auf dem PC- oder Smartphone-Display, auf Pinnwänden in sozialen Netzwerken oder im Rahmen von tagespolitischer Online-Berichterstattung. Mit Nichten lässt sich die unendlich scheinende Repetition von Gewaltbildern bloß mit deren emotionalisierenden Wirkung begründen. Viel mehr noch ist dieser Umstand mit unseren Sehgewohnheiten und -bedürfnissen zu erklären: Zerrissen zwischen der Abstoßungs- und Anziehungskraft innerhalb eines von Kräften der Moral und Ästhetik bestimmten Feldes changiert unser Blick auf verbildlichte Gewalt permanent zwischen einem Zu- und Wegsehen.[5]Melvin Motis Film „Cosmism“ (2015) bedient sich dieser Rezeptionsbedürfnisse und nimmt den Blick seiner Betrachter_innen in einer immersiv wirkenden, filmischen Bildcollage gefangen. Der Film ist ein Kommentar auf die visuelle Repräsentation von Gewalt in der Dokumentation historischer Ereignisse. Er ist teilweise von den russischen Kosmisten, einer Gruppe von Forschern, die die Beziehung zwischen dem Kosmos und der Menschheit erforschen, inspiriert. Der niederländische Künstler stellt hier menschliche Brutalität, Zerstörung und Panik der ursprünglichen Kraft und Ästhetik der Natur gegenüber: Die Aufnahmen eines gefilmtes Re-Enactmentsvon Maria Stuarts Köpfung mischt sich mit Found Footageder Terrorattacken vom 11. September 2001 in New York und NASA Bildmaterialvon Himmelsbahnen und der Sonne.

Das mit der Rezeption von Bildern verbundene visuelle Erinnern ist ein weiterer Knotenpunkt innerhalb der Ausstellung „Image Wars. Macht der Bilder“, deren Absicht in der Sensibilisierung für den kollektiven, aber auch individuellen Umgang mit dem Bild liegt. Ein Imaginieren von Erlebtem, eine wiederholte innere Bildreproduktion, gehört zur alltäglichen psychischen Hygiene und kann nach gesellschaftlichen oder persönlichen, traumatischen Erlebnissen belastende oder sogar zwanghafte Formen annehmen. „Reflecting Memory“ (2016) von Kader Attia greift das Phänomen des uns verfolgenden (Ab-)Bildes auf und thematisiert in diesem Zusammenhang das Symptom des Phantomschmerzes nach Amputationen: Menschen, die Gliedmaßen verloren haben, sitzen ruhig vor Spiegeln. Nimmt die Kamera den richtigen Winkel ein, wirken sie für die Betrachter_innen, als würde ihnen nichts fehlen, bewegt sich die Kamera dann, enttarnt sich die optische Täuschung: Der Verlust, den die Abgebildeten immer noch spüren, wird auch für die Zusehenden sichtbar.Die Spiegelbilder der Protagonist_innen transportieren hier die Diversität zwischen individueller und kollektiver Erinnerung und sind Ausgangspunkt für ein stark inhaltlich basiertes Werk über die Bedeutung und Dynamik der Aufarbeitung gesellschaftlicher Traumata.

Das Olympia-Einkaufszentrum in München war 2016 Tatort eines rassistischen Anschlags, bei dem neun Menschen ermordet und zahlreiche weitere verletzt wurden. Cana Bilir-Meiers Werk „This Makes Me Want to Predict the Past“ (2019) verdeutlicht die vielfältigen subjektiven Überlagerungen der Abbilder von politischen Geschehnissen und der individuellen Erinnerung: In Bezug zu dem rassistischen Attentat sind die jungen Frauen Sosuna Yildiz und Aleyna Osmanoğlu beim Zeitvertreib im und rund um das Münchner Olympia-Einkaufszentrum zu sehen. Dabei stellen sie Szenen des Theaterstücks „Düşler Ülkesi (Land der Träume)“ nach, auch Archivbildaufnahmen dessen Aufführung sind zu sehen. Das von Erman Okay geschriebene und unter Mitwirkung von Zühal Bilir-Meier, der Mutter der Künstlerin, realisierte Stück wurde 1982 am Münchner Theater der Jugend uraufgeführt und widmete sich dem Alltagsleben von sogenannten Gastarbeitern. Als Projekt rassismuskritischer Theaterpädagogik sollte esJugendliche und Erwachsene bestärken und ein Format fürEmpowermentsein. „This Makes Me Want to Predict the Past” steht als Cana Bilir-Meiers sehr persönlichen Annäherung an die medialen Abbilder ihrer Familiengeschichte als Verweis auf das Erinnern als eine als ethisch aufgeladen begreifbare Handlung. Es ist die einzige Möglichkeit der Vergänglichkeit entgegen zu wirken, in dem das, was nicht vergessen werden darf, in Gedanken festgehalten wird.

Die Österreichische Künstlerin Marlies Pöschl wiederum nähert sich dem Spannungsfeld zwischen Bild und Erinnerung indem sie einen Ort des visuellen Konsums ins Zentrum der Betrachtung rückt, das Kino. „PEOPLE USED TO CALL CINEMA CIMNAMA MEANING THROUGH THE WIRES THE IMAGE COMES TO LIFE.” flimmert in weißen großen Buchstaben über den Screen bevor Pöschl ihr Publikum in einen ästhetischen und sozialen Erinnerungsraum einlädt: Laleh Zar – eine Straße im Stadtzentrum von Teheran, in der sich früher viele Kinos befanden und die oft als Symbol des Westens und für die Modernisierung des Iran angesehen wurde – zeichnet sich heute durch eine Vielzahl von Leuchtelementen aus, die neben der Straße zum Verkauf angeboten werden. Der kinematographische Ablauf, in welchem Licht durch eine Reihung fotografische Bilder auf eine Leinwand fällt und ein Bewegtbild erzeugt, scheint nach den politischen Veränderungen in eine Vielzahl unterschiedlicher Lichtquellen auseinandergebrochen zu sein, die „سینمای†کریستال/ Cinema Cristal“ (2017) bildgewaltig einfängt. Auf dem Soundtrack erzählen Filmliebhaber, Zeugen und Theoretiker ihre Erinnerungen, Geschichten und Hommagen in Bezug zu der veränderten Rolle des Kinos in Teheran nach der iranischen Revolution. „سینمای†کریستال/ Cinema Cristal“ erzählt von den Erinnerungen an einen Raum des Bewegtbildes und steht damit am Ende einer Ausstellung, die ausschließlich Videokunstwerke präsentiert, die sich der Kraft von Bildern mit Motiven von und im Produktionskontext von Gewalt und der Erinnerung an eben diese widmen.

[1]Siehe: Mario Pfeifer, „Again / Noch einmal“, 2018, HD Video, 2-Kanal-Installation, Farbe, Sound, 39:00 Min.

[2]Vgl. hierzu: Judith Butler: „Folter und die Ethik der Fotografie“, In: Linda Hentschel (Hg.): „Bilderpolitik. Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse.“, 2008, S. 207.

[3]Vgl. hierzu: Gerhard Paul: „Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges.“, 2004, Ferdinand Schöningh Verlag, Köln., S.454

[4]Siehe: Judith Butler: „Folter und die Ethik der Fotografie“, In: Linda Hentschel (Hg.): „Bilderpolitik. Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse.“, 2008, S. 207.

[5]Vgl. hierzu: „Hin- und Wegsehen. Formen und Kräfte von Gewaltbildern“, Franca Buss, Philipp Müller (Hg.), Berlin / Bosten 2020, S.

09/19/2020