Silvia Eiblmayr über Ashley Hans Scheirls Genital Economy Posing.
Kritischer Mal-Raum
Ashley Hans Scheirl setzt ihre Ausstellung für das Künstlerhaus Graz unter ein einziges, sehr großes und knallrotes Anführungszeichen, das hoch oben mitten im Raum schwebt. Dieses Anführungszeichen ist vieldeutig und steht für das, was Scheirls Kunst generell kennzeichnet: Bei aller leidenschaftlicher Intensität gibt es immer auch eine distanzierte, mit einem ironisch-witzigen Unterton gekoppelte Haltung zu sich selbst.
Für Scheirl ist das Künstlerhaus Graz ein einzigartiger Ort für ihre inszenierte Malerei und ihre dafür konzipierte Performance, die sie unter das Schlagwort „Malerfürst“ gesetzt hat. Das 1951 errichtete Künstlerhaus ist mit seiner Ausstellungshalle mit Oberlicht, einem großzügigen, an der gesamten Eingangsfront verglasten Foyer und einer regelrechten Apsis ein klassisches und bemerkenswertes Beispiel dafür, welch hohen, fast „sakralen“ Stellenwert die österreichische Nachkriegsmoderne der zeitgenössischen Kunst zugemessen hat.1 Der „Malerfürst“ hingegen ist eine historische Figur aus dem 19. Jahrhundert, die in der spätkapitalistischen Massenkultur viele Jahrzehnte später noch einmal eine spezifisch mediale Ausprägung erfahren hat. Er repräsentiert das Genre Malerei mit allen Aspekten eines männlichen Machtstatus, bei dem gesellschaftlicher Erfolg mit Reichtum und grandiosem Lebensstil gekoppelt sind.2 Der „Malerfürst“ bildet für Scheirl eine Art Gegenfigur und antiquiertes Relikt, das sie hier mit anderen Versatzstücken der Malerei ins Spiel einbringt. Es geht um eine Gesamtinszenierung, die nicht nur für ihre Performance zum Schauplatz wird, sondern auch für das Publikum.
In kongenialer Zusammenarbeit verpassten Scheirl und Jakob Lena Knebl den Ausstellungsräumen ein präzises bühnenmäßiges „Framing“: In die Halle führt ein roter Teppich, der sich wie ein Laufsteg durch das Foyer ins Innere zieht und links über der teilweise in kräftigem Himmelblau gestrichenen Wand nach oben fortsetzt. Die streng geometrischen, monochromen Flächen von rotem Teppich und blauer Wand bilden den forcierten Kontrast zu einem begehbaren Podest. Dort schleust Scheirl eine andere Facette der Moderne ein, den abstrakten Expressionismus, in dessen Manier sie die ausgedehnten Boden- und Wandflächen (bis über sechs Meter Höhe) in gedeckten schwarz-weiß Farben mit aufwendigem Körpereinsatz selbst bemalt hat, wobei dieses ungegenständliche Formenagglomerat hin und wieder Fantasielandschaften einer „Schwarz-Weißen Romantik“ (Scheirl) evozieren soll. Den rotblauen Farbklang ergänzt Scheirl durch goldglänzende Objekte, eine Kugel und Eier, die in ihrem symbolisch hoch besetzten Repertoire dem Analen zugeordnet sind: Gold oder Geld, das sich in Kot verwandelt und umgekehrt.
Scheirls Bilder werden von einfachen Holzkonstruktionen gehalten, die kulissenartig auf dem Podest aufgestellt sind. Die Großformate werden von zwei überdimensionierten Motiven dominiert – auf Aluminium gemalte, vergrößerte Details aus einem der beiden Bilder, Fist (2018): Ein in der Mittelachse platzierter riesenhafter Unterarm mit geballter Faust, der scheinbar den Boden durchstoßen hat, wird von einer an die Wand gemalten goldgelben, halbovalen Großform umfangen – im Kontext von Genital Economy Posing eine sehr direkte und drastische Symbolisierung, die Scheirl hier in das Zentrum ihrer „Abhandlung“ mit und über Malerei setzt. Das Pendant zur Faust und Vagina bildet ein anderes, ebenfalls aus Aluminium gefertigtes und minutiös bemaltes vergrößertes Detail aus dem Bild „Mouth of Gold“ (2018), vis-à-vis über dem Eingang, ein himbeerroter weit geöffneter Riesenmund, in den zerknülltes Goldpapier gestopft wurde und von dessen Unterlippe ein tropfenförmiger Speichelfaden herabhängt.
Ein schräg applizierter Wandtext in pinken Riesenlettern – MICRO_PHALLUS PERFORMANCE RESIDUE – verpasst diesem polymorphen Szenario noch eine zweite ironisch querdenkerische Überschrift: Den „Micro_Phallus“ hatte Scheirl bei ihrer Performance vorgeführt: Ein wie ein erigierter Penis zwischen den Beinen vorgeschnalltes Mikrophon, über das die Künstlerin ihre Performance kommentierte, das sie, mit Goldfarbe beschmiert, auch als Pinsel einsetzte – ein subversives Allegorisieren des Zusammenhangs von männlich-phallischer Deutungsmacht, die über die Sprache (nicht nur der Medien) funktioniert, und sexualisiertem Werkzeug. Der „Malerfürst“ tritt hier, auch buchstäblich, in der Rolle des „Kaisers (fast) ohne Kleider“ auf.
Residuum wiederum bedeutet Rest, Rückstand, das, was zurückbleibt, sei es – körperlich gedacht – als Dauerfolge nach einer Krankheit, oder – ökonomisch gedacht – nach dem Abzug von Schulden. Hier manifestiert sich Scheirls konzeptuelle Verschränkung der Ökonomien von künstlerischer Produktion, Körper, Geschlecht und Sexualität mit den Ökonomien und Produktionsformen der kapitalistischen Wirtschaft. Sie bezieht sich dabei auf den von Jean-François Lyotard geprägten Begriff der „Polymorphie der Malerei“, für die der Philosoph eine Entsprechung im neoliberalen System der Wirtschaft ausgemacht hatte. Beide Systeme, sagt Lyotard, „kennzeichnet eine ‚Polymorphie von Energie‘, die zirkuliert, ausgetauscht und umgesetzt wird. Der Kapitalismus stellt seine Probleme in Kategorien von Energie und Energieumwandlung; Umwandlung von Rohstoffen, Umwandlung von Apparaten, Produktion von Apparaten, manuelle, intellektuelle Arbeitskraft, Produktion, Umwandlung dieser Arbeitskraft, Geld ... schlicht Energie, die zirkuliert, ausgetauscht wird, d. h. die sich umsetzt. Es gibt also eine Art Polymorphie dieser Energie; sobald etwas nach dem Wertegesetz austauschbar, umsetzbar ist, ist alles gut, passt alles zusammen - austauschbar sein, ist die einzige Bedingung. Nun, es gibt eine Polymorphie der Malerei, die von einer ähnlichen Auflösung der Objekte, der Zustände, der Konfigurationen, der Orte, der Arten herrührt, welche bis jetzt die Institution der Malerei ausmachten.“3
Für Scheirl, die ihre Art der „Polymorphie der Malerei“ zuerst in ihren Filmen (besonders und ausschweifend in Dandy Dust, 1998) in allen Facetten durchgespielt hat, ist das Lyotard’sche Modell insofern wichtig, weil es ihr einerseits einen Kontext für die eigenen Transgressionsexperimente im Medium Malerei bietet, und andererseits, durchaus im Zusammenhang ihres Queer-Seins, ihre nicht zuletzt psychologische Kritik an der Ökonomie des Neoliberalismus unterstützt. Es geht Scheirl darum zu verstehen „wie das liberale Wirtschaftssystem wirkt, wie, und wie sehr, mein Begehrenssystem davon durchdrungen ist“. Sie fragt sich, wie die „Emanzipation von bisher als ‚pervers‘ gegoltenen Begehrenspraktiken mit der ‚Normalisierung kreativer Prozesse‘ allgemein und hier speziell mit der Kreativität bei der Sexualität“ zusammenhängt, und auf welche Weise die „neo-liberale Vereinnahmung alles Kreativen“ effektiv wird.4
Ashley Hans Scheirl hat mit Genital Economy Posing in der Halle des Grazer Künstlerhauses einen vielschichtigen „kritischen Mal-Raum“ komponiert, der ihr für ihre Reflexion über Malerei im Hinblick auf deren jüngere Geschichte ebenso dient wie über den Ausstellungsraum als symbolisch-psychologischen und zugleich institutionellen Ort. Das „Micro_Phallic Performance Residue“ ist dann auch keineswegs als Befreiungsfantasie zu missverstehen. In der Unbestimmtheit seiner Parameter wird das Normative der Genres und deren Ismen (Abstrakt-Expressionistisch, Pop Art, Neo Geo, Fotorealismus) ebenso unterlaufen wie das Normative geschlechtlicher Zuordnung und schließlich auch das jeweilige Pathos, das der „White Cube“ und der „Malerfürst“ auf ihre ganz spezifische Weise in Anspruch nehmen konnten. Scheirl antwortet auf die „Neo-liberale Vereinnahmung alles Kreativen“ und der „bisher als ‚pervers‘ gegoltenen Begehrenspratiken“ mit einer Metaphorik, welche mit aller Faszination für die queere Ikonografie auch die abjekte, fetischistische und gewaltsame Unterseite der sich alles einverleibenden Ökonomie sichtbar macht. In den Bildern, die sie auf ihrer „Bühne“ positioniert, bringt sie das in stringenter und höchst verdichteter Form zum Ausdruck – sowohl in ihren Sujets als auch dem souverän differenzierten Einsatz der malerischen Mittel und Stile. In Selbstportrait mit grünem Ohr (2018), das hoch oben von der Decke hängt, konfrontiert die Künstlerin das Publikum mit einem schrägen, erschrockenen Blick: Ein Fragment ihres Gesichts (Nase, Mund, Kinnpartie) ist mit intensivem Inkarnat fotorealistisch gemalt, und sitzt scheinbar schwerelos in einer „Wolke“ aus schwarzweißer informeller Malerei. Die Augen wurden offenbar aus einem Comic entnommen und das grüne Ohr, auf dem wie bei einer Palette bunte Farbflecken sitzen, hat nochmals eine eigene Stilgeschichte. Mouth of Gold und Fist (die beiden Bilder, aus denen die sexuell aufgeladenen Details zu Riesenobjekten vergrößert wurden) sind präzis gebaute „Tableaus“, in denen die einzelnen malerischen Elemente – abstrakt-expressionistisch, monochrom, fotorealistisch – in einem unauslotbaren Raum zusammengefügt werden, in dem sich Melancholie mit dem Gefühl bedrohlicher Bodenlosigkeit verbindet. Zugleich haben Scheirls Bilder immer eine komisch anarchische Komponente: Es spritzt aus einem Anus, ein violetter Penis fährt dazwischen, darüber hängt wie ein länglicher leuchtender Mond mit Strahlenkranz ein goldenes Ei (Glamour of Anal Narration, 2016). Es sind, in Scheirls Worten, digitale Collagen, bei denen sie „Photoshop-Ästhetik“ einsetzt oder auch „Stempel“, was bedeutet, dasselbe Motiv vervielfacht in das Bild zu malen. Prothesenhafte, verselbständigte Körperteile wandern oder schweben durch das Bild und kontrastieren mit der in gedeckten Farben gehaltenen Malerei, deren gegenstandlose, flüchtige Formen Düsternis, Verlorenheit und Tod evozieren. Mit dem scheinbar unschuldigen Witz ihrer „obszönen“ Ikonografie und der gleichzeitigen Abgründigkeit ihrer Inszenierungen setzt Scheirl auch die Psychodynamik der Betrachter_innen in Gang und entlässt diese in die Konfrontation mit ihren eigenen bewussten und unbewussten Ambivalenzen.
Die im „Seitenschiff“ neben der Halle in einer leuchtend roten Rahmenarchitektur gezeigten Zeichnungen und der Video-Raum in der Apsis – beide ebenfalls gemeinsam von Scheirl und Knebl gestaltet – geben in ausgewählten Arbeiten einen zusätzlichen Einblick in Scheirls Werk. In den bewusst an Kinderzeichnungen erinnernden Arbeiten bringt sie pointiert das regressive Moment gegenwärtiger Kultur zum Ausdruck. Der Video-Raum bietet dem Publikum ein konstruktivistisches Arrangement von Apparaten, Sockeln und medialen Bildern, das Scheirls filmisches Werk höchst überzeugend in die sinnlich flimmernde Apsis der Künstlerhauses versetzt.
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Ashley Hans Scheirl, Genital Economy Posing, 2018
Fotos: Markus Krottendorfer
1 Zur Baugeschichte und aktuellen Sanierung der Künstlerhauses Graz siehe https://www.baunetzwissen.de/elektro/objekte/kultur-bildung/kuenstlerhaus-halle-fuer-kunst---medien-km-in-graz-4233079/gallery-1/1. (Zuletzt besucht am 27.4.2018.)
2 „Mit Malerfürsten (auch als Münchner Malerfürsten) werden in München drei als in der Malerei sehr bedeutend eingeschätzte Professoren an der Akademie der Bildenden Künste tituliert: Franz von Stuck (1863—1928), Franz von Lenbach (1836—1904) und Friedrich August von Kaulbach (1850—1920).“
http://www.muenchenwiki.de/wiki/Malerfürst. (Zuletzt besucht am 27.4.2018.) In Österreich steht im 19. Jahrhundert Hans Makart für diesen Typus. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden u. a. Ernst Fuchs und Markus Lüpertz als „Malerfürsten“ bezeichnet.
3 Jean-François Lyotard, „Die Malerei als Libido-Dispositiv. Im Stile einer improvisierten Rede“; in: ders., Essays zu einer affirmativen Ästhetik (1973), Merve Verlag, Berlin, 1980, S. 51-52.
4 Hans Scheirl, Kurzkonzept zur Ausstellung Hans Scheirl h_dandy body_parts, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste, Wien, 2014, zitiert in: Silvia Eiblmayr, „Hans Scheirl und die polymorphen Geometrien der Leidenschaft“; in: Gerhild Stangl, Katharina Hofmann-Sewera, Hg., Hans Scheirl h_dandy body_parts, Ausst.-Kat., Schlebrügge Editor, Wien 2014, S. 98.