Eine Frage des Ortes. Das Grazer Künstlerhaus und seine Vorprojekte

Als das Grazer Künstlerhaus 1952 eröffnet wurde hatte es bereits viele Jahrzehnte an Projektarbeit hinter sich. Neben dem heutigen Standort war auch das Areal im Bereich des heutigen Opernhauses im Gespräch. Der Kunsthistoriker Josef Ploder gibt einen Überblick über die Vorgängerprojekte des Künstlerhauses und ihre städtebaulichen Problematiken.

Der Bau und die Inbetriebnahme des gegenwärtigen Künstlerhauses im Jahr 1952 (nach Plänen von Rudolf Haueisen) beendete eine über Jahrzehnte dauernde Auseinandersetzung die von Anfang an immer auch eine Frage des Standortes war. 1947 trat ein Baukomitee für den letzten Akt eines lange überfälligen Vorhabens zusammen; 1949 fiel die Entscheidung für eben diesen konkreten Entwurf.

Das Gebäude kann in seiner schlichten Funktionalität und zurückhaltenden Modernität als typisch für die an Neubauten eher arme unmittelbare Nachkriegszeit angesehen werden. Auch die mehr oder weniger latente Sakralität der architektonischen Typologie (Portikus, längsgerichteter Hauptraum, erhöhte Apsis und Krypta) darf im künstlerischen Kontext als charakteristisch für die Nachkriegsjahre angesehen werden. Das mag auch für die Positionierung und die axiale Ausrichtung des längsgerichteten Baus gelten. Abgesehen von der Parallelität zur Bebauung des Burgringes scheint das Gebäude jeden Bezug zur Umgebung demonstrativ vermeiden zu wollen. Das ist umso erstaunlicher, weil gerade die Frage der städtebaulichen Einbindung für die Vorprojekte essentiell gewesen zu sein scheint.

Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Errichtung eines Grazer Stadttheaters in Angriff genommen wurde (ab 1887 verhandelt; ab 1893 konkrete Aktivitäten) galt es vorerst, die Standpunktfrage zu klären. Das auf Theaterbauten spezialisierte Wiener Architekturbüro Fellner & Helmer (seit 1873 gemeinsames Büro), in den 90er-Jahren bereits hoch renommiert, lieferte ab 1893 Entwürfe, die sich allerdings nicht erhalten haben. Als Standort wählte man 1897 das Areal neben dem bestehenden sog. „Thalia-Theater“, das ersetzt werden sollte. Ein Situationsplan (1898) des Architektenteams zeigte auch klar, dass der Neubau die (zumindest teilweise) Entfernung des alten Baus bedingte. Aber auch ohne Vorgängerbau war das Areal zwischen Karl-Ludwig-Ring (Opernring), Alleegasse (Girardigasse) und Glacisstrasse bzw. Kaiser-Josef-Platz topografisch schwierig, weil die Grundfläche einen rechten, zwei stumpfe und einen spitzen Winkel aufweist. Dazu kommt noch die Inhomogenität der Umgebung, die aus Freiflächen, unterschiedlich gewichteten Verkehrswegen und uneinheitlicher Bebauung besteht.

Ein Bebauungsplan von Fellner & Helmer (meist 1897 datiert) zeigt, dass sie diese urbanistisch problematische Lage jedoch souverän zu bewältigen wussten. Die Architekten nahmen die offensichtliche Notwendigkeit von Nebengebäuden (Depots, Werkstätten usw.) zum Ausgangspunkt einer städtebaulich schlüssigen Lösung die auch einen Stadtsaal, Lokale und Verwaltungsräume einschloss. Das Projekt für die Gesamtverbauung war funktionell überzeugend und städtebaulich schlüssig. Die Verlängerung der Mandellstraße bis hin zur Burggasse (hier musste eine Reihe von Bäumen gefällt werden) isolierte das betroffene Gelände als eigenständiges Areal und stellte eine Verbindung der äußeren Verbauung zur Innenstadt her. Allerdings blieb der brillante Vorschlag der Architekten für eine Gesamtlösung ohne Folgen. Von den vorgesehenen finanziellen Mitteln sollten zwei Drittel für das Stadttheater selbst und ein Drittel für die Nebengebäude verwendet werden. Angesichts der Größe und der unterschiedlichen Funktionen der „Nebengebäude“ war dieses Drittel des Gesamtetats mit Sicherheit unzureichend. Doch es kam ohnehin anders. Gleichzeitig mit der Bewilligung des Baus wurde auch beschlossen, ein Drittel der vorgesehenen Summe für den Bau eines Volkstheaters auf der rechten Murseite zu verwenden. Auch dazu lieferte das Büro Fellner & Helmer einen Entwurf. Als es jedoch beim Stadttheater selbst – wie oft bei Großprojekten – zu einer Baukostenüberschreitung kam, wurde diese aus dem Etat für das Volkstheater abgedeckt. Der Rest wurde für Schulbauten verwendet. Damit hatte sich auch das Projekt eines Volkstheaters erledigt. Da beim Neubau auf die Nebengebäude verzichtet wurde, war das Theater von Anfang an in seiner Funktion eingeschränkt; so blieb nicht nur der Theaterbetrieb gehemmt, sondern auch das städtebauliche Problem ungelöst.

Neben dem bekannten und mehrfach publizierten Verbauungsplan von Fellner & Helmer hat sich auch ein zweiter, völlig anders aufgefasster Entwurf für eine Gesamtverbauung des neben dem Theater verbleibenden, schwierigen Geländes erhalten. Da dieser als „Alternative B“ bezeichnet ist, kann davon ausgegangen werden, dass er etwa gleichzeitig mit dem anderen Plan entstanden sein dürfte. Dieser zweite Plan ist weit weniger genau ausgeführt als der erste. Er zeigt im Gegensatz zum anderen Plan im Grundriss nur die Umrisse der Gebäude. Gemeinsam sind den beiden Entwürfen die geschlossenen Verbauung des stumpfen Winkels von Glacisstraße und Alleegasse sowie der geschwungene Verbindungsgang auf der gegenüber liegenden Seite. Der Schwierigkeit der Topografie begegneten die Architekten mit einer relativ geschlossenen, durch unterschiedliche Volumina ausdifferenzierten Verbauung. Das lässt sich zumindest aus den Grundrissen ablesen. Auf dem Plan A werden zwei relativ gleichwertige Baukörper in einem leichten spitzen Winkel zueinander gestellt, wodurch ein gewisses Maß an Symmetrie erreicht wird und das Halbrund mit den Hauptachsen der beiden Gebäude und der Mittelachse des Hofes (bzw. Gartens) einen Brennpunkt der Anlage markiert. Ebenso souverän gehen die Architekten mit dem spitzen Winkel zwischen Alleegasse und Karl-Ludwig-Ring um. Durch zwei unregelmäßige Längsräume entstehen verschwenkte Symmetrieachsen die – durch einen quadratischen Eckraum abgeschlossen – eine Parallelität zum Ring herstellen und in Richtung Stadtzentrum einen untergeordneten Nebeneingang entstehen lassen. Insgesamt werden die vorgeschlagenen Baulichkeiten konsequent in die urbanistischen Gegebenheiten eingebettet.

Im Entwurf B finden sich nur pauschale Funktionszuteilungen („Theater-Bau“, „Decorations-Bau“ und „Saal-Bau“); genauere Bezeichnungen und Raumbeziehungen werden nicht gegeben. Im Gegensatz zum anderen Bebauungsplan geht die Variante B nicht von zwei annähernd gleichartigen Hauptgebäuden aus, sondern von drei unterschiedlich gewichteten Baukörpern. In der Variante A konnte man davon ausgehen, dass zwei große Komplexe – mehr oder weniger gleichwertig – miteinander verbunden bzw. symmetrisch arrangiert werden; auf Plan B scheinen sich die drei Bauten stärker voneinander zu emanzipieren. Auch wenn der „Decorations-Bau“ eindeutig als untergeordnet zu erkennen ist, tritt er eigenständiger in Erscheinung. Der markanteste Unterschied der beiden Pläne liegt aber darin, dass der Saalbau eine völlig andere Form erhält. Unabhängig vom Grad der Ausführlichkeit beider Pläne scheint auf Plan A eine stärkere Einheitlichkeit angestrebt zu sein, wogegen auf Plan B auf Differenzierung Wert gelegt wird. Gegenüber der kompakten Geschlossenheit von Plan A bringt Plan B die städtebauliche Problematik des Areals wahrscheinlich pointierter auf den Punkt. Der dominante Theaterbau besetzt den rechten Winkel mit zwei parallelen Fassaden und einem freien Platz vor der Hauptfassade. Der „Decorations-Bau“ wird in den stumpfen Winkel positioniert; dieser bildet den Schnittpunkt von vier unterschiedlich ausgerichteten Straßen. Hier unterbleibt auch jede Achsenbildung, was den untergeordneten Rang des Baus bekräftigt.

Beim „Saal-Bau“ hingegen ging es darum, dem Theaterbau, der zwei Ecken des unregelmäßigen Gevierts besetzt, ein adäquates Gegengewicht gegenüber zu stellen. Dies wird mit einer sehr ungewöhnlichen Form und einer markanten Position erreicht. Die Grundform ist ein Fünfeck von dem eine Seite zweifach vorspringt, sodass sich, noch betont durch das dreieckige Rasenstück, eine dominante Ausrichtung ergibt. In dieser markanten Achse vereinigen sich die dynamischen Kräfte des Areals und ihrer Bebauung. Sowohl das Theater als auch der Dekorationsbau sind spannungsvoll mit dem Saalbau verbunden und verstärken dessen Orientierung. Ein in sich geschlossenes, gut ausbalanciertes Bauensemble zeigt eine deutliche Ausrichtung, und zwar in Richtung Stadtzentrum.

Ein weiterer – eher unscheinbarer – Unterschied, dem in unserem Zusammenhang allerdings eine gewisse Relevanz zukommen könnte, findet sich in den beiden Plänen. Entgegen dem „Stadtsaal“ auf dem Plan A findet sich auf Plan B nur die allgemeine Bezeichnung „Saal-Bau“. Das kann alles oder nichts heißen. Die konkrete Funktion bleibt vage bzw. öffnet eine Perspektive auf ein anderes kulturelles Desiderat über das ebenfalls seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert diskutiert wurde. Dass die Pläne von Fellner & Helmer auch nach Fertigstellung des Theaters 1899 bekannt blieben, lässt sich an Zeichnungen zur gärtnerischen Gestaltung des Geländes belegen. Das – nach wie vor brache – Areal wurde in Folge als Standort für ein Künstlerhaus in sehr detailreichen und fortgeschrittenen Planungen in Betracht gezogen. Aber auch die letztendlich bebaute Fläche am Burgtor war von Anfang an eine Option für ein Künstlerhaus.

Eine 1909 getätigte Stiftung (Baronin Zois) schien eine Verwirklichung in greifbare Nähe zu rücken. Aus dieser Zeit haben sich mehrere Entwürfe erhalten; sie wurden vor etwa 20 Jahren erstmals publiziert. Zwei sehr unterschiedliche Projekte von jeweils unbekannten Autoren beziehen sich auf die Fläche zwischen Burgring und Erzherzog-Johann-Allee und reagieren in verschiedener Weise auf diese topografische Position.

Ein Entwurf – nur als Ansicht dokumentiert – trägt das Motto „Im Schatten der Kastanien“ und zeigt einen sehr groß dimensionierten Bau in der Ecke zwischen Burgring und Erzherzog-Johann-Allee der – wie auch das zweite Projekt – nach Osten auf die Elisabeth-Allee (heute Wilhelm-Fischer-Allee) bzw. die Elisabethstraße ausgerichtet ist. Der monumentale Eingang des Gebäudes befindet sich an der Ecke der beiden Straßen, links und rechts schließen sich zwei lange, zweigeschossige Flügel an, deren Enden sich in den Alleen verlieren. Die Eingangsfront besteht aus einer zweigeschossigen und dreiachsigen Loggia die von kolossalen Pilastern flankiert wird. Eine mehrteilige, von hohen Podesten eingefasste Treppe führt zum Eingang hinauf. Eine sechs- oder achtseitige Kuppel oberhalb des Gebälks hebt die Eingangsloggia zusätzlich hervor. Es ist davon auszugehen, dass der Eingangsbereich aus einem großen Kuppelraum hätte bestehen sollen. Die seitlichen Flügel sind ebenfalls durch kolossale Pilaster rhythmisiert und durch einen pavillonartigen Risalit mit pyramidalem Mansarddach unterbrochen. Rechts, am Ende der Allee, ist das Burgtor zu sehen, hinter üppigen Bäumen die Spitze des Domdaches mit Dachreiter, der kurze Turm und daneben die Kuppel des Mausoleumturms. Obwohl das projektierte Gebäude der monumentalen Stadtkrone (Burg, Dom und Mausoleum) abgewandt ist, nimmt es mittels Kuppel und Pavillondach auf diese Bezug und versucht seinerseits durch Dimension und Gliederung Monumentalität zu schaffen.

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Abb. 1: Entwurf für ein Künstlerhaus in Graz, „Im Schatten der Kastanien“, ca. 1910, Bildcredits: Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum

Das zweite Künstlerhausprojekt aus dieser Zeit und an dieser Stelle ist durch einen Grundriss und zwei Ansichten dokumentiert. Es trägt, entsprechend seiner Orientierung, das Motto „Nach Osten“. Das Gebäude ist ebenfalls in der Ecke des Parks positioniert und befindet sich, von Baumreihen umgeben, auf einer dreieckigen Grundfläche. Der Bau bildet einen rechteckigen Block mit unterschiedlich breiten Risaliten an den Achsen aller vier Fronten. An der Eingangsseite ist der Risalit als Portikus mit flankierenden zweigeschossigen Türmchen ausgeführt. Eine Treppe mit seitlichen Wandstücken führt zum Eingang; dem Mittelteil des Baus ist ein pyramidales Glasdach aufgesetzt. Auch der (sichtbare) seitliche Risalit weist ein solches, für Ausstellungsräume typisches, Glasdach auf. Die Fenster an der Eingangsseite – dreiteilige Rechteckfenster mit kleinen quadratischen Unterteilungen im oberen Drittel – haben eine, im frühen 20. Jahrhundert oft verwendete Form und weisen auf Büroräume hin. Die aquarellierte Ansicht zeigt den Bau aus mäßigem Abstand in leichter Schräge von der äußeren Erzherzog-Johann-Allee heraus. Abgesehen von der Größe, zeigen die beiden Projekte sehr unterschiedliche Konzeptionen, die sich nicht nur auf die bauliche Typologie, sondern auch wesentlich auf den topografischen bzw. urbanistischen Aspekt beziehen.

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Abb. 2: Entwurf für ein Künstlerhaus in Graz, „Nach Osten“, Ansicht, ca. 1910, Bildcredits: Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum

Der erste Entwurf („Im Schatten der Kastanien“) versteht sich monumental. Er entwickelt sich vor der Folie des historisch bedeutsamsten Teils der Stadt, der sogenannten „Stadtkrone“ aus Dom, Burg und Mausoleum. Darauf nimmt die Gestaltung dieses Gebäudes ausdrücklich Bezug. Die Dachformen von Dom und Mausoleum werden im Entwurf ebenso reflektiert, wie die Arkaden des Burgtors, was sich in einer ernsten Monumentalität auch der grafischen Wiedergabe äußert. Für das zweite Projekt („Nach Osten“) gilt ähnliches, aber mit umgekehrten Vorzeichen. In den Wiedergaben des kleinen, fast pavillonartigen Baus wirkt alles (wie das Haus selbst) heiter und luftig. Selbst der Portikus, ein architektursprachlich hoheitsvolles Motiv, wirkt durch seine bescheidenen Proportionen und den flankierenden niedrigen Türmchen mit wehenden Fahnen harmlos und niedlich. Die Beschränkung auf ein Geschoss, das Dach mit Gaupen sowie die Kleinteiligkeit der Fensterflächen bewirken einen villenartigen Charakter. Hier wird nicht auf die monumentale Stadtzone reagiert, sondern auf den Park, an dessen Rand das Gebäude steht.

Zu dem Zeitpunkt, als (nach der erfolgten Stiftung) an die Realisierung eines Künstlerhauses gedacht werden konnte, war das Stadttheater bereits zehn Jahre in Betrieb, die Fragen der Werkstätten und Depots aber nach wie vor ungelöst, ebenso eine städtebauliche Lösung des attraktiven, jedoch schwierigen Geländes zwischen Ring, Girardigasse und Kaiser-Josef-Platz. Daher war es naheliegend, dass auch dieser prominente Bauplatz im Zusammenhang mit einem Künstlerhaus wieder zur Disposition stand. Die erhaltenen Entwürfe dokumentieren verschiedene Varianten und Stadien einer einschlägigen Verbauung.

Ein wahrscheinlich um 1910 entstandenes und im Grundriss gezeigtes Projekt stammt vom Architekten und Maler Adolf Wagner. Auf der unregelmäßigen Fläche neben dem Stadttheater ist der Rest des alten Thalia-Theaters, in dem ein Restaurant untergebracht war (daher wohl auch die Bezeichnung „Thalia-Rest“) zu sehen, und – der Stadt zugewandt – ein T-förmiges Gebäude das als „Stadtsääle“ bezeichnet ist und – am schmalen Ende des Geländes – eben das Künstlerhaus. Die Überschneidung der Grundrisse von „Thalia-Rest“ und Stadtsälen sowie die gärtnerische Gestaltung des gesamten Areals dazwischen besagt, dass der Gebäuderest abgerissen werden sollte. Das Künstlerhaus selbst ähnelt im Grundriss dem Projekt „Nach Osten“; aufgrund fehlender verlässlicher Datierungen kann über Abhängigkeiten nur spekuliert werden.

Das Projekt von Wagner ist nicht gerade originell und trägt kaum zu einer städtebaulichen Problemlösung bei. Durch die Drehung des länglichen Blocks von der Girardigasse zum Ring wird immerhin der unregelmäßigen Grundfläche Rechnung getragen und der Risalit des neuen Gebäudes kann als Antwort auf den Portikus des Theaters gesehen werden.

Viel konkreter, detailreicher und lösungsorientierter waren die Pläne, die 1916 von Artur Payr, einem in Bregenz geborenen Architekten, erstellt wurden. Auch Payr geht von einem bestehenden Thalia-Rest („Stadttheater-Restaurant“) aus und positioniert das Kunsthaus an die Schmalseite des Geländes. Vorerst scheint das Kunsthaus („Vorschlag für das Kunsthaus am Kaiser-Josef Platz“) das einzige neu zu planende Gebäude gewesen zu sein. Aber trotz des geringen Bauvolumens gelingt es dem Architekten, die städtebauliche Problematik der Position anzudeuten. Das Kunsthaus hat einen L-förmigen Grundriss, dessen breiter Teil parallel zum Stadttheater verläuft und dessen schmaler Teil genau nach der Achse des Flankenrisalits des Theaters ausgerichtet ist. Hier befindet sich der Eingang des Kunsthauses. Zur evangelischen Kirche hin greift der Bau konvex aus, zwischen den beiden Flügeln ist die seitliche Flanke einmal abgetreppt. Der Grundriss nimmt sowohl auf das Theater als auch auf die Ecksituation an der Kreuzung Bezug. So, wie Haupt- und Nebenachse des Theaters sich in der Ausrichtung des Kunsthauses wiederfinden, entsprechen die Gebäudeecken den Straßenecken der Kreuzung.

Auf einem weiteren Grundriss wird das neu geplante Kunsthaus mit dem bestehenden Theater-Restaurant verbunden und ein Hof gebildet. Auch wenn die zwei Verbindungen – gerade an der Girardigasse, einen stumpfen Winkel zum Theater hin bildend – nur einen minimalen Eingriff darstellen, wird durch die Zusammenfassung der beiden Bauten dem Stadttheater ein mehr oder weniger zusammenhängender Komplex gegenüber gestellt und eine Gesamtverbauung offensichtlich angedacht. Konkret heißt es dann: „Vorschlag für die Verbauung des Grundstückes zwischen Stadttheater und Girardigasse“. Es folgen detaillierte und umfangreiche Planungen, die eine systematische Gestaltung des Areals vorsehen und es ist schwer vorstellbar, dass der Architekt auf Grund dieser Tatsache nicht weitgehende Realisierungschancen gesehen haben müsste. In zahlreichen Plänen und Zeichnungen werden die Bauten vom Keller bis zum Dach bis ins Kleinste durchgebildet. Offensichtlich ging es dem Künstler nicht nur um die Gestaltung zweier Prestigebauten, sondern wesentlich auch um eine städtebauliche Lösung dieses zentralen innerstädtischen Bereichs. Die vielen Ansichten aus allen erdenklichen Perspektiven belegen, dass der Architekt das zu planende Ensemble im städtischen Kontext sieht und zu behandeln beabsichtigt.

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Abb. 3: Artur Payr, Verbauungsplan für das Areal beim Stadttheater in Graz (Kunsthaus und Stadthalle), 1916, Bildcredits: Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum

Im Projekt der Gesamtverbauung wird das Kunsthaus aus den einfacheren Vorschlägen übernommen, die Stadthalle, mindestens ebenso groß wie das Theater, füllt den breiten Teil der Grundfläche weitgehend aus. Die Unregelmäßigkeit des Grundrisses ergibt sich aus der schwierigen Grundfläche. Die gerade Eingangsfront orientiert sich am Ring, die seitliche Flanke an der Schräge der Girardigasse. Der polygonal ausgreifende Bauteil gegenüber dem Eingang nimmt auf das Kunsthaus Bezug, die gebrochene nördliche Seitenfront berücksichtigt die leichte axiale Differenz von Theater und Stadthalle. Sogar der spitze Winkel zwischen Ring und Girardigasse erhält ein bauliches Äquivalent durch einen in diese Richtung verlaufenden Flügel. Durch die Verbindung der drei Bauten untereinander wird nicht nur ihre Zusammengehörigkeit unterstrichen, sondern auch ihre gemeinsame Einbindung im städtischen Zusammenhang verdeutlicht.

Der Bau des Kunsthauses ist nach zwei Seiten ausgerichtet. Der halbrunde Bauteil zur Kirche und dem Platz hin ist im Erdgeschoss durch drei gedrückte Bögen zu einer gewölbten Loggia geöffnet, die Achsen sind durch Pilaster getrennt, über den Bogenachsen sitzen zwei- bzw. dreiteilige Fenster die an das Dachgesims stoßen. Der Flügel an der Girardigasse ist an den Ecken abgeschrägt und mit einem Eingangsrisalit versehen. Pilaster und Dreiecksgiebel akzentuieren den Eingang. Das Gebäude hat zwei Geschosse, wird von einer Sockelzone umlaufen und hat in der Ecke zwischen den Flügeln einen eingeschossigen Einbau. Auffallend ist das weit herunter gezogene Dach, das an der Eingangsseite gewalmt ist und an der ausschwingenden Seite mit einem halben Kegel abschließt. Der Mittelteil des Daches ist laternenartig erhöht und von einem gewalmten Mansarddach abgeschlossen, die beiden Längsseiten dieser Laterne sind durch große, vielfach unterteilte Fenster geöffnet.

Das Kernstück des Kunsthauses ist der zentrale Oberlichtsaal der am Außenbau durch die Laterne markant in Erscheinung tritt. Die Länge des Saals ist am Plan mit 27 Metern angegeben, die Breite mit 11,20 Metern. Die Höhe des Raumes beträgt 7 Meter, die der Laterne ebenfalls.

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Abb. 4: Artur Payr, Entwurf für ein Kunsthaus in Graz, 1916, Bildcredits: Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum

Bezüglich der Stadthalle, auf die wir hier nicht mehr näher eingehen können, ist anzumerken, dass ein großer Teil des Untergeschosses und ca. ein Drittel des Erdgeschosses dem Theater als Magazin usw. zur Verfügung stehen sollte. Das ist insofern beachtenswert, weil durch die größere Entfernung von der Bühne die Handhabung durch verlängerte Transportwege schwieriger sein dürfte. Aus welchem Grund die nahe liegende Position für die Bedürfnisse der Bühne dem Kunsthaus zugeteilt wurde, erschließt sich aus den Plänen nicht. Stilistisch bewegt sich der Architekt mit seinen Entwürfen im Bereich der gemäßigten Moderne. Er könnte – mit Vorbehalt – zwischen C. F. A. Voysey, Hermann Muthesius, Josef Hoffmann und dem frühen Heinrich Tessenow angesiedelt werden. Artur Payr nimmt bei seinen Planungen ausdrücklich Bezug auf den bestehenden Theaterbau und versucht, durch die Neubauten ein stimmiges Ensemble zu schaffen sowie dieses den städtebaulichen Gegebenheiten anzupassen. Von seinem ambitionierten Plan wurde allerdings nichts umgesetzt; Payr wurde 1917 an die Technische Hochschule in Prag berufen. Diverse Bauverzögerungen führten jedoch dazu, dass die gestiftete Summe (200.000 Kronen) mitten im ersten Weltkrieg als Kriegsanleihe verlorenging und Graz noch lange auf ein Künstlerhaus warten musste.

Der Text entstand für einen Vortrag im Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien am 21.11.2019 und basiert auf der Publikation: Josef Ploder, Architektur, die (nicht) gebaut wurde. Entwürfe für ein Grazer Künstlerhaus und die historischen Dimensionen eines städtebaulichen Problems. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 27/28 (1998), S. 417-446.

Ao.Univ.-Prof.i.R. Dr.phil. Josef Ploder (*1952 Perberdorf, lebt in Graz) studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz, wo er ab 1983 am Institut für Kunstgeschichte auch selbst tätig war. Seine Habilitation folgte 1996 zum Thema „Heinrich von Geymüller und die Architekturzeichnung. Werk, Wirkung und Nachlaß eines Renaissanceforschers“. Die Schwerpunkte seiner Lehre und Forschung liegen in der Architekturgeschichte, Architektur und ihre mediale Repräsentanz sowie Fotografie und Film. Sein Artikel „Architektur, die (nicht) gebaut wurde. Entwürfe für ein Grazer Künstlerhaus und die historischen Dimensionen eines städtebaulichen Problems“ erschien 1998 im Historischen Jahrbuch der Stadt Graz, Band 27/28.

Literatur:

Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. 3 Bde. Salzburg-Wien 1980-1990.
Robert Baravalle, Grazer Opernhaus. Die ersten fünfundzwanzig Jahre im neuen Hause. Graz 1924,
Gerhard M. Dienes (Hg.), Fellner & Helmer. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa. Anläßlich des Jubiläums „100 Jahre Grazer Oper“. Graz 1999.
Sokratis Dimitriou (Hg.), Stadterweiterung von Graz. Gründerzeit. Graz-Wien 1979.
Hans-Christoph Hoffmann, Die Theaterbauten von Fellner und Helmer. München 1966 (=Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts II).
Katalog zur Eröffnung des Künstlerhauses in Graz. Graz 1952.
Wiltraud Resch, Die Stadtkrone von Graz. Graz 1994.
Wiltraud Resch, Die Kunstdenkmäler der Stadt Graz: Die Profanbauten des I. Bezirks. Wien 1997.
Wilhelm Steinböck (Hg.), 850 Jahre Graz. 1128-1978. Graz 1978.
Anselm Wagner/Sophie Walk (Hg.), Architekturführer Graz. Berlin 2019.
Alexander Peter Walner, Geschichte des Grazer Opernhauses 1899-1938. Ein Beitrag zur Grazer Stadtgeschichte. Phil. Diss. Graz 1955.

11/27/2019

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