Offengehalten, ambivalent und mehrfach codiert – Ute Müllers Skulpturen, Installationen und Gemälde sind alles andere als einfach zu greifen. Ein Gespräch über den Wert des Abstrakten, die Rolle von Transformation und Veränderung sowie die Sprachlosigkeit gegenüber der eigenen Produktion.
Solange etwas nur auf einer Ebene funktioniert, ist mir das nicht genug
Dominikus Müller: Ute, du arbeitest auf den ersten Blick recht skulptural, auf den zweiten sehr installativ. Wie verhalten sich für dich Arrangement und Einzelobjekt zueinander?
Ute Müller: Ich gehe mit den Dingen im Gesamten wie mit einem Alphabet um, oder wie mit einem Fundus, einem Requisitenset. Und natürlich ist ihre Funktion je nach Position im Verhältnis zu den restlichen Elementen eine jeweils andere. Aber selbst die einzelnen Dinge an sich haben nicht immer nur eine Bedeutung, sondern mehrere Seiten, die sich miteinander in Beziehung setzen lassen. In meiner Ausstellung im Künstlerhaus zeige ich beispielsweise einen metallischen Gegenstand, der eigentlich sehr vulkanisch und irgendwie grob aussieht, dann wiederum hat er – von einer anderen Seite betrachtet – eine saubere, sich scharf abgrenzende Schnittkante, kupferfarben und oval. Diese ergibt eine klare Grundform, die sich eher mit anderen geometrischen Formen in Verbindung bringen lässt, zum Rest des Objekts aber in starkem Gegensatz steht. Es handelt sich übrigens um das Fragment eines Gusskanals, der an dieser Stelle abgetrennt wurde.
Würdest du also sagen, dass es dir um die Arbeit an einem Vokabular geht, das sich aus Bezügen, Differenzen, Wiederholungen zusammensetzt und auf verschiedenen Ebenen funktioniert: als „pure Form“, als Material, über Funktion und manchmal sogar über eine symbolische Bedeutung?
Ich glaube, die Dinge, die ich verwende, kommunizieren eine gewisse Absurdität. Sie können auf unterschiedlichste Art und Weise in Bezug zueinander treten. Ich setze zum Beispiel immer wieder Formen aus Latex ein, schätze dessen erinnernde Qualität im Material, eine Art Speichermedium. Manchmal schließen sich die Dinge auf rein formaler Ebene kurz, dann wieder überlagern sich mehrere mögliche Konversationen – über Farbe, über Form, und manchmal eben auch über Verweise auf etwas ganz Anderes, wie das vorherige Beispiel des Überbleibsels eines Gussverfahrens. In jenem Fall geht es allgemein um einen Herstellungsprozess, spezieller dann um Kunstproduktion. Welche Skulptur aber tatsächlich durch diesen Kanal gegossen wurde, das weiß ich nicht, ich habe sie nie gesehen.
Es hat ja einen Einfluss auf die Wahrnehmung dieses Gegenstandes, dass man weiß, dass es sich dabei um ein Überbleibsel der Kunstproduktion handelt, das hier aber selbst wieder in den Status eines Kunstwerks erhoben wird. Ist ein solches Überblenden verschiedener Ebenen – das Betonen oder anderswo auch das Verbergen von Referenz – wichtig für deine Arbeit?
Ja. Vor allem aber ist hier die räumliche Komponente wichtig, die Frage, wie was wo im Raum positioniert wird. Und dann auch, wie das wiederum mit dem Faktor Zeit zusammenhängt. Denn es können auch unterschiedliche Zustände ein und desselben Dings zueinander in Beziehung gesetzt werden – wie eben bei diesem Gusskanal, bei dem sich, je nach Standpunkt, unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund schieben, einmal das Vulkanisch-Organische und einmal das Glatt-Geometrische.
Wie hat man sich das vorzustellen, die Arbeit mit dem Faktor Zeit in Skulptur und auch in der Malerei?
Bei der Skulptur ist es leichter, diese Ebene anzusprechen, weil die Wahrnehmung von Skulptur immer schon dynamisch ist. Sie ist über Bewegung im Raum organisiert und schließt deswegen automatisch aufeinander folgende Perspektivwechsel ein. Als Betrachter einer Skulptur agiert man also deutlicher in der Zeit als bei einem Bild. Das Bild ist grundsätzlich auf eine Fläche gebracht und unser Standpunkt dazu ein gewohnt frontaler. Gerade in Bezug auf meine Malerei ist das aber eines der großen Themen: Wie kann man die Zeit-Raum-Frage innerhalb der Parameter der Malerei angehen? Wie könnte eine entsprechende dynamische Wahrnehmung in der Malerei funktionieren?
Und wie machst du das?
Zum einen habe ich mich vom erkennbaren Motiv verabschiedet. Denn stellt man ein Objekt dar, das sich nicht im gleichen Raum befindet, sondern eben im Raum des Bildes, dann bleibt dieses Objekt abgeschnitten, ist sprachlich fixiert, in einem Denkraum gefangen und nur im Kopf erfahrbar. Wenn man aber ins Abstrakte geht, dann verlässt man diesen Raum. Abstraktes kann viel dynamischer erfahren werden. Das allein ist mir aber nicht genug. Also entwickle ich aus einem bewusst ambivalenten Zugang heraus wiederum zusätzliche Strukturen und obwohl es ursprünglich erkennbare Formen sind, geht es hier nicht um einzelne Begriffe, sondern um deren Bezüge zueinander. Im Generellen aber gilt: Die Malerei ist ein Gebiet, das ich eigentlich leer lassen möchte, zumindest so leer wie möglich. Ich möchte eine gewisse Begrifflichkeit vermeiden und bestimmte Koppelungen.
Du meinst ein bestimmtes, immer auch determinierendes Bezeichnen dessen, um was es geht?
In Assoziationen zu denken funktioniert bei der Malerei anders. Skulptur und Installation sind hier viel offener, da kommt eines zum anderen, da ist sofort ein körperlicher Bezug da. Die Sache geht schneller auf ohne gleich Kategorien zu bedienen. Bei der Malerei ist das zwar auch machbar, aber eben um einiges komplizierter, Dinge sortieren sich viel schneller in ein Ja und ein Nein. Als System im Gesamten ist die Malerei hermetischer.
Im Sinne dessen, dass eine Leinwand ein sehr viel stärker geschlossenes Koordinatensystem ist, dass sie sehr viel rigider organisiert ist und eben buchstäblich nicht so mehrschichtig wie ein begehbarer Raum?
Genau. Obwohl ich etliche Methoden anwende, um das zu umgehen, zum Beispiel die Bilder tief zu hängen. Denn je höher man sie hängt, desto weiter weg geht es vom Körper hinein in den Gedankenraum. Ich baue meine Malerei in etlichen Schichten auf, die mehr oder weniger durchscheinend sind, wodurch unterschiedliche Ebenen miteinander zu kommunizieren beginnen. Aus diesem Grund verwende ich auch Eitempera, weil sie es zulässt, dass das Licht auf eine bestimmte Art und Weise durch alle Schichten schimmert und diese durchbricht. Dieser Aufbau in Schichten ist ein Link zu meinen Skulpturen: So wie man sich durch den Raum bewegt, so kann man sich auch durch die Schichten der Malerei bewegen. Dadurch eröffnet sich eine zeitliche Dimension. Aber nochmal: Für die Malerei eine Sprache zu finden macht für mich keinen Sinn. Ich finde es wichtig, dass die Malerei einen eigenen Raum aufmacht, der einem zu allererst die Sprache nimmt. Es fällt auch mir viel leichter über die Skulpturen zu sprechen. Im Umgang mit Malerei entwickelt sich schnell ein Drang zur Festlegung und man läuft dabei Gefahr, zu konkret zu werden. Verglichen mit der Gussformskulptur: Ich benutze hier nur das Übriggebliebene. Das eigentliche Gegossene das sieht man nicht mehr. Die Malerei bewegt sich für mich eigentlich nur im Feld dessen, was nicht mehr da ist.
Dann lass uns doch zurück zu den Skulpturen kommen. Du hattest vorher schon einmal Latexformen erwähnt, auch in der Ausstellung in Graz sind die ja vertreten.
Für die Ausstellung waren von Anfang an einfache, räumlich-geometrische Formen oder Prinzipien wichtig: Quadrat, Kreis, Linie und so weiter. Zusätzlich verwende ich teils gefundene Dinge, die ich manchmal auch kopiere, um sie von einer Installation in eine andere zu übertragen. Ich habe beispielsweise die Form eines Steins mit Latex abgenommen und dieses Negativ wiederum mit Gips ausgegossen. Es gibt also den Stein, sein Negativ aus Latex, aber auch eine Art offene Gipskopie des Steins, in Form einer absurden Vase, die eine ganz neue stoffliche Qualität besitzt.
Zwar eine Form, aber eben eine buchstäblich offene?
Richtig. Mir geht es dabei nie um irgendeine Art von Original. Das ist etwas, was mich weder in der Malerei noch in der Arbeit mit Objekten interessiert. Meine Bilder male ich eigentlich nie zu Ende. Sie erreichen irgendwann eine Dichte und Sättigung, den Moment beziehungsweise Zustand in dem etwas passiert. Dann kann ich sie zeigen. Aber ich würde jede Malerei irgendwann auch wieder überarbeiten.
Wann sind die Arbeiten dann fertig für dich? Oder korrekter formuliert: Wann zeigst du sie?Verglichen mit Musik könnte man sagen: wenn sich ein gewisser Rhythmus einstellt. Ein anderes Wort wäre eben Sättigung. Das heißt, etwas hat genug Ebenen, um unterschiedlichste Bezüge auszulösen oder mit vielen anderen Dingen in Bezug zu treten. Solange etwas nur auf einer Ebene funktioniert, ist mir das nicht genug. Und wieder ist dies ein starkes Problem in der Malerei: Nur eine Schicht zu malen ist zwar wahnsinnig eingängig, aber erst danach wird es wirklich schwierig. Denn erst bei zwei oder mehr Ebenen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis.
Diese Frage findet sich ja etwas anders geartet auch in deinen skulpturalen Arrangements. Das Verhältnis, das die einzelnen Elemente zueinander eingehen, ist meist mindestens genauso wichtig ist wie das jeweils einzelne Objekt.
Mir ist wichtig, dass mit den Dingen etwas passiert. Fast wie in einem Film. Die Arrangements geben eine Art Handlung vor. Man weiß nicht, was vorher war oder nachher sein wird. Man sieht aber, dass den Dingen etwas passiert ist oder dass ihnen etwas passieren wird.
Welchen Stellenwert haben Begriffe wie Stringenz und Logik für deine Arbeit?
Dass man die Dinge als Ganzes erfasst, das ist mir nicht wichtig. Ich wehre mich vielmehr permanent dagegen, die Dinge festzulegen. Ich möchte, dass sie offen sind und dass sich soviel wie möglich ereignen kann. Ich bin immer sehr fasziniert von Künstlerinnen und Künstlern, die voller Bestimmtheit über ihre Arbeit sprechen können und eine Art von Stringenz und Logik dadurch vermitteln, dass sie benennen können, wo genau welche Form herkommt und wie das alles ineinander aufgeht. Ich finde sowas großartig, aber für meine Arbeit ist das nicht der richtige Weg.
Mir fällt auch auf, wie unglaublich schwierig es ist, angesichts deiner Arbeit genau zu sagen, womit man es jetzt zu tun hat. Ich mag das aber, dass sich da etwas dem Erzählbaren entzieht.
Es hat ziemlich lange gedauert, mich damit zurechtzufinden, dass es nun einmal so ist. Ich arbeite zwar mit diesen Dingen, kann sie aber in diesem Sinne nur bedingt vermitteln. Es gibt definitiv eine Art Sprachlosigkeit der eigenen Produktion und Kreativität gegenüber. Das ist fast wie ein Schwarzes Loch. Aber auch ein solches Unvermögen ist am Ende ja formgenerierend.
Inwiefern?
Manchmal funktioniert einfach nicht, was ich mir vorgenommen habe, aber aus dem Scheitern heraus entsteht dann eine andere neue Form. Ich glaube, insofern ist das, was ich mache, eben besser als „szenisch“ zu beschreiben: Es geht darum, die Bedingungen zu schaffen, innerhalb derer sich etwas verändern kann, innerhalb derer sich Bedeutungen verschieben können. Letztlich geht es dann um Bewegungen. Und im Sinne einer solchen Offenheit ist es eben wichtig, dass die Dinge ambivalent sind.
Viele deiner Objekte haben darüber hinaus etwas sehr Taktiles, eine irgendwie spezielle Oberfläche, die man – ich zumindest – anfassen möchte. Welche Rolle spielt die Haptik für dich?
Es gibt beispielsweise rohrartige Skulpturen, für die ich Ton mit den Händen an die Innenseite eines Rohrs gepresst habe. Der ungebrannte Ton ist samtig, gleichzeitig wirken diese Kaminformen mit den Fingerabdrücken im Inneren absurd. Aber es stimmt schon: Generell passiert viel über das Material. Es ist den anderen Bereichen gleichgestellt. Die Entscheidung für ein bestimmtes Material steht aber nie vorab fest, das entsteht erst im Prozess.
Welchen Stellenwert haben Konzepte wie Übersetzung und Kopie für dich?
Zu Kopieren ist für mich eine Form der Übersetzung. Und Übersetzen heißt: etwas von einem Raum in einen anderen bringen. Da geht es um Transfers, bei denen unglaublich viel passieren kann. Wichtig ist dabei nicht, was ein Ding war, oder was es wird, sondern, was im Moment der Transformation mit ihm geschieht. Wenn man so will, dann geht es mir immer auch um die Möglichkeit, aus der einen Form eine andere regelrecht „herauszuziehen“, aus einem Kreis beispielsweise ein Rohr werden zu lassen. Das ist im Grunde mit der Herangehensweise eines 3D-Programms vergleichbar, wo simple Formen generiert werden, indem sie aus einer Fläche extrudiert werden oder in die entgegengesetzte Richtung kollabieren.
Vielleicht liegt es ja auch an diesen Zwischenzuständen, dass sich – so nehme ich das zumindest wahr – viele deiner Dinge am Rande der Formlosigkeit abspielen, oder dass ihre Form, anders gesagt, prekär ist, vorläufig, halbfertig, irgendwo zwischen A und B hängengeblieben.
Auf eine Art sind das alles auch Abstrakta. Und abstrakte Dinge entziehen sich, haben manchmal keine richtige Sprache, oder können mehr als eines sein, können nicht angeeignet oder voll verstanden werden.
In diesem Sinne hat man es hier nicht mit simplen Gegenständen, sondern tatsächlich mit „Dingen“ im starken Sinn zu tun – ein Ding, das ist gleichzeitig mehr und weniger als ein Objekt, ein Ding, das ist ein seltsamer Zwischenzustand, zu nah und doch auch fern.
Genau. Es geht auf jeden Fall um solche Zwischenstufen und -stadien, um ein Changieren und darum, dass man eben nicht eindeutig weiß, womit man es zu tun hat. Und vielleicht ist das ja wirklich der Punkt, den wir gleich zu Beginn angesprochen haben: Dass ein Ding potenziell viele sein kann.
Ute Müller, Ausstellungsansicht, 2017
Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien, Graz, Foto: Ute Müller