Kamilla Bischof. Plastik kaufe ich nur gebraucht oder gefunden

Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin Melanie Ohnemus über Kamilla Bischofs Werk.

Auf dem Bild mit dem Titel Posterburg (2018), ist eine Frau zu sehen, die auf einem abstrakten Möbel, einem Interieur-Versatzstück, vielleicht etwas gar nicht Dinglichem, aber dennoch Festem (da es ja immerhin eine Frau trägt) zu sehen, die mit den Knien nach außen gedreht in der Hocke sitzt. Eine äußerst weiblich, vielleicht auch archaisch konnotierte Position zu sitzen. Sie trägt ein sommerliches kurzes blaues Kleid, wahrscheinlich ist es aber eher ein Negligé, sowie blaue Pantoffeln. Neben ihr ist ein indigoblaues abstraktes Möbelstück zu sehen, das postmodern anmutend, dennoch nichts Bestimmtes darstellend, sich nach oben hin zu einem Mikrofonständer verjüngt. Das Mikro ist bereit – wird sie danach greifen? Sie scheint in einem Moment, vielleicht in einem Gedanken verfangen zu sein. Vier horizontal schwebende weiße Knochen verkleinern sich in einer Reihe nach oben und erzeugen so perspektivisch eine Art Himmelsleiter.

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Kamilla Bischof, Posterburg, 2018, Öl auf Leinwand, 200 x 250 cm

Mit der linken Hand, die sich am Oberschenkel abstützt, hält die Frau etwas Rundes, das in ein weißes Tuch gewickelt ist. Auffällig ist die rechtwinklige Haltung des rechten Fußes, der optisch eine lineare Verbindung mit dem indigoblauen Objekt eingeht. Es ist zu vermuten, dass es sich real betrachtet nicht lange in dieser Position sitzen ließe. Die Frau sieht jedoch nach dem Gegenteil aus. Der Hinter- und Untergrund zu dieser Szenerie ist wild in verschieden farbigen Flächen gemalt, vorherrschende Farbtöne sind von Rosa bis Bordeauxrot, aber auch Grün und Schlammtöne. Die Flächen erscheinen dicht und lasierend zugleich, es geht sozusagen drunter und drüber. Von den Knochen rinnt die Farbe in dünnen Streifen herab. Schnell und mit dünnem Auftrag gemalt. Das ist noch nicht alles: das Bild wurde bei der Herstellung wohl auch zeitweise um fünfundvierzig Grad im Uhrzeigersinn gedreht, denn hier rinnt ebenfalls die Farbe von den hellen Flächen und Linien hinunter. Im Endzustand des Bildes werden sie zu horizontalen Linien, die zusätzlich zur Dynamik des Bildraums beitragen.

In dieser kurzen Bildbeschreibung lässt sich schon einiges an Eigenheiten bemerken – sowohl in der Ausführung an der Arbeitsfläche, als auch einige charakteristische Elemente für Kamilla Bischofs narrativem Umgang mit Bildgegenständen und den Welten, in die diese gesetzt sind. Die eben frei imaginiert beschriebene Szenerie, mit der hockenden weiblichen Figur in ihrem Zentrum, zeigt einerseits etwas Konkretes: eine Frau in einer spezifischen Situation. Was nun weitaus schwieriger mit Sicherheit zu bestimmen ist: was für eine Situation zeigt sich uns hier? Wie kam es dazu, dass die Frau sich in die Hocke gesetzt, den Fuß in dieser Art positioniert hat? Und was ist in dem Tuch drinnen? In welchem Verhältnis steht sie zu den angedeuteten Objekten? Was wird sie tun, wenn sie sich aus dieser Haltung herauslöst, wird sie das Mikrofon jemals benutzen? Werden dann die Töne, wie die Knochen, zum Himmel hinaufsteigen? So gelesen, erzeugt die Arbeit einen subjektiv wahrgenommenen Raum, der bei den Betracher_innen einen zeitlichen Verlauf initiiert. Das könnte man auch als Phantasie bezeichnen. Spezifische Merkmale in Kamilla Bischofs Arbeit sind, dass widersprüchliche Elemente zueinander in Beziehung gesetzt und Figuren vorgestellt werden, deren Absicht und Handlung nicht eindeutig bestimmbar sind, da sie sich auf nichts Bestimmtes im Bildzusammenhang beziehen. Solche Konfigurationen zeigen vielmehr die Andeutung einer Möglichkeit, von der man nicht weiß, ob sie schon vorüber ist, oder erst passieren wird (etwa das Ergreifen des Mikrofons). So gesehen könnte man auch behaupten, dass Figuren und Objekte zwar bezüglich zueinander, aber in keiner Abhängigkeit voneinander stehen. Ein weiteres Merkmal ist es, dass die Bildhintergründe recht wild und ungestüm, mit großzügigem Pinselstrich und schnell gemalt sind. Und obwohl es nur Farbflächen sind, entstehen hier Landschaften, Innenräume und Straßen. Objekte, besonders Möbel werden in weiche Formen gebogen, zerfließen in den Raum. Es sind meist die kleineren Objekte, wie Lampen, Tischchen, Telefone, Halterungen jeder Art oder etwa ein Gugelhupf, die naturalistischer dargestellt werden, aber dafür in unpassenden Situationen einfach unvermittelt auftauchen, oder verfremdet platziert erscheinen. Diese Objekte behaupten sich im Bildzusammenhang jedoch sehr gleichwertig zu den Figuren in ihren Bildern. Es wird eine Art Koexistenz behauptet, die in ihren Verfremdungen, versehen mit phantastischen (phantasierten) Attributen, gleichwertig die Szenerie mitbestimmen, und praktisch ein Eigenleben zu führen scheinen. So wie beispielsweise auch in ihrer Arbeit Mickey von 2017 zu sehen ist: eine Figur sitzt leger in einem Fauteuil. Sie ist in einen senfgelben/maigrünen Overall gekleidet, trägt rote unterarmlange Handschuhe, die in Zacken enden, und hat einen roten schmalen Schal um den Hals geschwungen. Das Gesicht ist bräunlich rot, mehr einem Tier, vielleicht einem Hund oder einem Reh ähnlich, der Blick ist wach aber etwas hochnäsig, Langeweile vortäuschend, starr nach vorne gerichtet.

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Kamilla Bischof, Mickey, 2017, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Die abgehobene Stimmung, die diese Figur umgibt, wird zusätzlich noch von dem halblangen Haar unterstrichen, das, wie dasjenige eines Aristokraten oder Künstlers, sich fesch nach hinten wellt. Also eine Art Fabelwesen – dennoch, wage ich zu behaupten, dass die Figur, und das besonders, weil die Haltung, die Details und Objektelemente so spezifisch ausgearbeitet sind, als Person imaginiert wird. Vielleicht mehr wie eine weiterinterpretierte Person. Vielleicht, wie eine Person, die man nicht kennt, aber beobachtet, und ihr insgeheim neue Elemente hinzudichtet. Genau wie bei der Figur im ersten besprochenen Bild hängen die Arme und Hände lässig herab, sind aufgestützt, aber bereit, etwas Nächstes zu tun, und somit erzeugt auch diese Darstellung eine Ahnung von Zeitlichkeit. Flankiert wird Mickey von einem roten Telefon, das auf einem kleinen grauen, runden Tischchen platziert ist. Allerdings ist der Körper des Telefons ein geöffneter Mund mit sehr roten Lippen, der große Zähne zum Vorschein bringt, die in Rosa, Weiß und Rot gehalten sind. Der Hörer des Telefons liegt quer über den Lippen; die Enden des Hörers wirken vielmehr wie Duschköpfe, da besonders Wert darauf gelegt wird, die kleinen runden Sprechöffnungen des Geräts zu zeigen. Man könnte sich vorstellen, dass das Telefon jeden Moment klingelt und Mickey lässig abhebt. Der Raum um diese Szene herum ist unbestimmt, lediglich das Rotbraun der Hintergrundfläche erinnert an Mahagoniholz-Elemente oder Vertäfelungen, was auf jeden Fall ein Hinweis auf ein Interieur geben würde; auch die Pflanze, die von links in das Bild hinein schaut und der Sessel, der sich mehr wie eine Blase aufwölbt (im übrigen vergleichbar mit dem Mikrofon- Möbel aus dem vorherigen Bild), der sich zu einer fleischigen Pflanzen-Schlange beinahe über die gesamte Bildbreite auswächst. So beschrieben, erscheinen die Bildzusammenhänge von Kamilla Bischof wie Bühnen, in denen Figuren und Objekte in mindestens gleichwertiger Weise mit phantastischen Widersprüchlichkeiten ausgestattet sind. Figuren werden entmenschlicht, Objekte nähern sich an die Menschen an, oder haben zumindest zu ihrer herkömmlichen Funktion weitere Talente oder Elemente hinzugewonnen. Die Stimmung, die hier erzeugt wird, ist trotz der opulenten, phantastischen, interieurlastigen Elemente doch oftmals seltsam ernst und trocken. Diese Beobachtung zur generellen Grundstimmung im Werk der Künstlerin führt zu einer genaueren Lektüre der Texte von Kamilla Bischof, da sich dort ihre Art der spezifischen Rezeptur von Dinglichem und Phantastischen am Besten nachvollziehen lässt: die Texte, die in der zur Ausstellung vorliegenden Künstlerpublikation abgedruckt sind, sind fester Bestandteil des künstlerischen Schaffens. Sie beschreiben oft Szenen des Alltags und sind aus der Perspektive der Künstlerin geschrieben. Sie geben, gegengelesen mit der Malerei, weiteren, beziehungsweise zusätzlichen Aufschluss darüber, wie Objekte des Alltags in ihre Vorgehensweise einfließen. Zumeist tauchen sie einfach unvermittelt auf und beeinflussen dann eine Situation beträchtlich, und lenken sie manchmal in völlig gegensätzliche Richtungen. Ebenso wie die Menschen, die auftauchen. Aber auch Worte werden sinnverdreht, Absurditäten werden durch die einfachsten Dinge ausgelöst, um dann im folgenden Satz wieder ganz normal zu funktionieren. Alles wird einfach mitgenommen. Die Autorin sieht sich meist von den sie umgebenden Dingen weitergetrieben, und weitere Zufälle zwingen sie zum Handeln oder einfachen Aussitzen der Situation. Die Texte erscheinen fast wie ein Tagebuch, das durchdreht. Es werden ständig die Regeln verletzt. Eine wichtige Rolle spielen hierbei auch Kleidung, Mode, Styling, Frisuren und Essen. Und Psychoanalyse.

BRAUTNAHE RESTE

Heute Morgen erzählte mir Alfred von einer Frau, die ihre alten Nylonstrümpfe an eine Opossum-Familie vermietet, angeblich für fünf Euro pro Tag. Außerdem meinte er, ich würde dieser Person ziemlich ähnlich sehen. War es eine Anspielung auf meinen miserablen Look? Meine löchrigen Strümpfe hängen also nicht nur mir zum Hals heraus. Dieser lumpige Auftritt nervt ihn auch.

Ich bücke mich um meine Schuhe zu binden. Der verdammte Minirock rutscht mir hoch zur Brust. Kein Wunder, er gehört meiner achtjährigen Cousine. Beim letzten Familientreffen habe ich den Fetzen versehentlich in meinen Koffer gepackt. Mit aller Kraft hatte ich mich heute morgen hineingezwängt. Seitdem bekomme ich kaum Luft und hechle wie ein Hund im Sonnenschein. Ich will in den dichten Wald zurück aus dem ich gekrochen bin! Warum bin ich nicht dort geblieben?

Ich nehme eine dürre Karotte aus dem Gemüsefach und setze mich nagend auf den Boden. (Reiß dich zusammen, das gehört sich nicht!) Ich stülpe mir das Vampir Cape über und ziehe in die Nacht hinaus. Alleine marschiere ich durch leere Gassen. Wo finde ich den großen Spaß von dem sie alle reden? Plötzlich steht eine richtig hässliche Malerin vor mir. Ich schrecke zurück. Oh nein, es ist mein Spiegelbild! Ich brauche sofort bessere Gesellschaft! Schnell verstecke ich die angenagte Karotte in meiner Manteltasche und klopfe an eine Autoscheibe. (Es kurbelt.)

- Ja bitte, was kann ich für Sie tun?

- Bitte helfen Sie mir! Eine, die aussieht wie ich, hängt mir dicht an den Fersen. Ich muss sie loswerden. Führen Sie mich schnell zur nächsten 24/7-Frisierstation, ich muss die langen Zotteln abschneiden, damit sie mich nicht mehr erkennt.

- Das kann nicht sein. Ich sehe hier weit und breit keine, die Ihnen folgt. Selbst wenn, warum wehren Sie sich nicht? Sie wirken doch recht vital.

- So glauben Sie mir! Sie hat sich als Vogelscheuche getarnt, ist circa so groß wie ich und versteckt sich vermutlich gerade hinter einem Baum. Gegen die habe ich keine Chance.

- Machen Sie sich nicht lächerlich! Dieses Drama nehme ich Ihnen nicht ab. Sie sollten schnellstmöglich in Ihr Atelier zurückkehren und sich zusammenreißen, anstatt in diesem albernen Zwiebellook herumzugeistern und Leute zu erschrecken.[i]

Es ist eine Art kafkaeske Verrücktheit, die hier durch die Texte hindurchschwingt, ein mit den Dingen verwoben Sein. Es gilt, sich durchzukämpfen, und dabei Haltung zu bewahren, auch wenn einem der Minirock bis zum Halse steht: cool bleiben. Gestylt sein, auch wenn’s scheiße aussieht. Bischof scheint hier von einer Situation in die nächste zu gleiten: Kaum bückt sie sich, um sich die Schuhe zu binden, findet sie auch schon im nächsten Moment Trost und Halt bei einer Karotte aus dem Gemüsefach, um sich gleich darauf ein zufällig herumliegendes Vampir-Cape überzuwerfen. Und der Portkey zur Lösung, beziehungsweise der nächsten Situation, die vielleicht Rettung oder ein neues Ereignis verspricht, sind die neu imaginierten Dinge (Objekte), das gefundene Kleidungsstück.

Wie sehr die Texte mit den Realitäten des Alltags verwoben sind, zeigt auch dieser Text:

IM HAUS DER VERNUNFT

Bloß nicht vom Pferd fallen! Ich kralle mich an seiner Mähne fest. Jetzt, da ich mich endlich auf das richtige Tier gesetzt habe, will ich als Erste durchs Ziel galoppieren. Fehlanzeige! Der Jockey hinter mir schlägt mir mit der Gerte auf den Kopf.

Mit dem schweren Ledersattel auf den Schultern stapfe ich zurück durch den Schnee. Auf zur täglichen Routine! Zu Hause schaufle ich Essensreste aus dem Mülleimer und füttere meine Schweinehorde. Danach lege ich mich auf die rote Chaiselongue neben ihrem Napf und beobachte die Tiere beim Frühstück. Ich muss Keilrahmen besorgen, außerdem benötige ich einen neuen Schlafanzug, vielleicht ein gestreiftes Modell und ich muss unbedingt dem Anwalt vom Sportverein schreiben. Mein Kontolimit ist erreicht. Anscheinend hat meine Bank keine Schwierigkeiten sich abzugrenzen und Nein zu sagen. Ich sollte mir ein Beispiel an ihr nehmen.

Etwas später blättere ich in den gesammelten Werken einer Unbekannten, meinem Manuskript. Ich denke an die Freundin, auf deren Couch ich lange saß. Wo waren der Schiedsrichter und sein Geselle, als sie mich und meinen Sweater mit dem harten Ball bewarf?[ii]

Diese Phantasierereien könnten als Flucht aus dem Alltag gelesen werden. Viel eher aber als eine Flucht aus der realen Welt zu betreiben, erscheint mir, dass Kamilla Bischof diese mit genaueren, beziehungsweise unüblicheren Augen betrachtet, und mit diesen Wahrnehmungen auch etwas macht, was durchaus von anderen Menschen gelesen (verstanden und übertragen) werden kann. Sie überträgt durch deren Verarbeitung Erlebnisse wie Scheitern, Ratlosigkeit, Geldsorgen, Ärger mit Mitmenschen und Pflichten in neue Zusammenhänge. Sie fordert die Betrachter_innen und Leser_innen dazu heraus, den Dingen mit einem anderen Blick zu folgen, so als Vorschlag, den eigenen Keim der surrealen Übertragungsmöglichkeiten zu wässern. Denn man darf hier nicht verwechseln: Kamilla Bischof ist kein Fabelwesen, sie ist Künstlerin, die den Akt der Übertragung von real Erfahrenem in Metawelten als künstlerische Arbeit vollzieht. Das ist hier kein Kinderspiel, es geht darum, das Leben zu meistern. Hier liegt keine Verwechslung vor. Wenn man diesen Vorschlag begreift, heißt es: zugreifen. Zugreifen, und einen eigenen Kreislauf des Warentausches entwerfen. Manchmal sind es aber auch nur Anmerkungen an die Dingwelt, wie zum Beispiel in:

ERSTE EHE

Einen wasserfesten Laptop, damit ich auch in der Wanne tippen kann, bitte! Einen Lastwagen mit Hebebühne, immer auf Abruf bereit, bitte! Das Universum prüft uns nicht nur einmal? Strafe muss sein? Ich, eine tragische Figur? Einspruch![iii]

Die Wünsche an die Dinge sind subtil einfach, genauso einfach, wie es ist, etwas auf der Straße zu finden, seinen momentanen Wert zu beurteilen, sein Design, seine Eigenheit einzuschätzen – also etwas auf seine angelegten Möglichkeiten hin zu erkennen und frei genug zu sein, es mitzunehmen, ohne schon konkret zu wissen, wofür man es benötigen oder gebrauchen wird. Kamilla Bischof tut das nicht in konzeptueller, fachinterner Manier, sie arbeitet sich nicht an der Kunstgeschichte ab, vielmehr befindet sie sich in der Welt, wie sie vorherrschend mit den Sinnen wahrgenommen wird – zwischen Instinkt und Intuition. Sie nimmt sich heraus, zu phantasieren, zu den Dingen hinzuzudichten, sie zu bewegen, falsch zu platzieren, sie zu dehnen, ohne die Essenz von den vorangegangenen, greifbaren Zusammenhängen zu verlieren, vielmehr sie dadurch auszuformulieren. Das begreife ich als einen sehr ökologischen Ansatz. Und auch einen der Selbstbehauptung. Die Bedeutungen innerhalb der Dingwelten zu verschieben, bedeutet auch, sich davon zu befreien, wie etwas auszusehen hat. Wenn man Dinge von der Straße aufsammelt, sie weiterverwendet, sie weitergibt oder anderweitig wieder in den Kreislauf der Dinge einführt, entstehen neue Behauptungen. Innezuhalten, auszuharren, wo andere auf Antwort warten, sich imaginäre Haustiere zu halten und Masken zu tragen, ist ebenfalls eine Form der Selbstbehauptung. In dieser Haltung ist man zwar nicht unverwundbar, aber zumindest nicht ausschließlich auf der reaktiven Seite.

Und wie wir gesehen haben: witzig ist das nicht immer. Die Blicke sind starr, die Augenbrauen ziehen sich über der Nasenwurzel zusammen, man wird verfolgt und bedrängt. Und selbst wenn etwas nur in Plüschpantoffeln daherkommt: alles wird ernst genommen und geprüft. In Late Night Show (2018) ist dies zu sehen.

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Kamilla Bischof, Late Night Show, 2018, Öl und Acryl auf Leinwand, 70 x 100 cm

Möglicherweise sehen wir hier die Künstlerin selbst, oder eine Künstlerin, oder ein working girl, die spätabends in Unterwäsche, Strümpfen und Pantoffeln noch wichtige Dinge erledigt, tippt oder liest, während der Hund mit Schwanenhals unter ihrem Stuhl an einem Knochen leckt. Energisch sieht sie aus, die Dame. Nicht zuletzt auch unterstützt von dem ebenfalls energischen, schnellen Malstil, der besonders dort in den Bereichen auftritt, wo gearbeitet wird (bei den Händen), und in den Haaren (wo gedacht wird).

Bischof entwickelt eine ganz eigene Vorstellung davon, wie sie als Künstlerin arbeiten will: sie hat von Anfang an in verschiedenen Formaten gearbeitet, und Erweiterung zu ihrem Programm gemacht. Sie profitiert sozusagen von den Entwicklungen und Erweiterungen der jüngeren Kunstgeschichte. In Bischofs Selbstverständnis sind alle diese Rollen zu einer künstlerischen Person vereint. Nicht mal der Rede wert. Anstatt sich am Medium Malerei konzeptuell abzuarbeiten, beschäftigt sie sich vielmehr damit, all diese Formate auf surreal erzählerische Weise zu nutzen und macht sich so formal und inhaltlich nicht zusammenpassendes kompatibel. Fachinterne Verweise und Zitate sind nicht von Interesse, und beim Betrachten der Bilder kommt man an keinen Punkt, an dem es sinnvoll wäre, von einer Weiterentwicklung des Mediums zu sprechen, denn darum geht es nicht. Sie stellt sich sozusagen von mehreren Herangehensweisen gleichzeitig aus auf.

Doch was bleibt: man muss dennoch zu jeder Zeit sein Handwerk mit den Bedingungen der einzelnen Formate beziehungsweise den Medien verstehen, und sie einzusetzen zu lernen. Weil eben nicht nur smart Verweise von außen auf die Leinwand geholt werden, sondern die Kombination des Literarischen, und deren Übertragung in Malerei eine Versuchsanordnung ergibt, in der nicht transportiert, sondern vorgefunden wird.

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Kamilla Bischof, Oktoberfest, 2019, Öl und Acryl auf Leinwand, 150 x 180 cm

Die Arbeit Oktoberfest (2019) zeigt eine Figur mit grüner Schnabel-Maske und pinken Armen und Beinen in der Hocke im Gras auf einer kleinen Erhöhung sitzend. Sie trägt einen hellblauen Kapuzenpullover und grüne, grobe Handschuhe. Der linke Arm ist auf dem Oberschenkel abgestützt, und hängt herab. Die Rechte jedoch hat sich mit einem metallisch wirkenden Haken-Werkzeug, dessen eines Ende sogar wie das Mundstück einer Trompete aussieht, in einer Öse eingehakt, die aus dem Stamm eines dünnen Bäumchens erwächst. Das grüne Gesicht der Figur blickt recht diabolisch, der Kopf ist so und so eher der einer Frucht ähnlich, und wie um den mürrischen Eindruck noch mehr zu unterstreichen, ihn sogar unheimlicher zu machen, trägt die Figur unpassenderweise ein große rosa Schleife auf dem Kopf. Das schon erwähnte Bäumchen wirkt recht fragil und noch frisch, es trägt auch nur drei Blätter. Zudem ist es zum Schutz in eine Folie eingehüllt. Dies verleiht ihm die Aura eines Präsentes, aber es scheint auch, als ob ihm die Sicht eingeschränkt wurde. Jedenfalls wirkt es recht wehrlos, und die Öse, beziehungsweise der Griff, der ihm widersinnigerweise aus dem Stamm wächst, macht es noch um einiges verletzlicher und nackter. Die Figur nutzt dies schamlos aus und hakt sich ein. Die ganze Szene erinnert an einen Teenager, der eine kleine Echse samt und sonders zum Spaß quält. Eine, bei genauerer Betrachtung verstörende Szene, deren Titel Oktoberfest auch überhaupt nicht weiter hilft, sondern nur weiter verstört.

Das ästhetische Programm der Kamilla Bischof mag schwer zu entziffern sein, doch vermittelt sich auf der Suche nach bestimmten Eigenschaften eine recht eigenständig formulierte, surreal literarisch anmutende Stimmung, die sich nicht um Referenzielles innerhalb der Kunst bemüht. Dafür aber wird eine Offenheit möglich, die gar keine Grenzen und deren Überwindung mehr bedenkt.

Melanie Ohnemus (*1973 Freiburg im Breisgau, lebt in Wien) ist freischaffende Kuratorin, studierte Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim und war Kuratorin an der Wiener Secession und dem Portikus in Frankfurt am Main. Als Kunstkritikerin ist sie für die Magazine May, Frieze und Texte zur Kunst tätig. Ohnemus ist Herausgeberin zahlreicher Kataloge, unter anderem: Julie Ault & Martin Beck: Installation, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2006; gemeinsam mit Helmut Draxler: Shandyismus. Autorschaft als Genre, merz & solitude Verlag, Stuttgart, 2007; Haegue Yang. Siblings and Twins, Sternberg Press, 2010; Wade Guyton. Black Paintings, JRP|Ringier, Zürich, 2011. Sie kuratierte Einzelausstellungen unter anderem mit Judith Hopf, David Lamelas, Julie Ault & Martin Beck, Haegue Yang, Wade Guyton, Nina Könnemann, Dan Graham, Rachel Harrison, Mathias Poledna, Lena Henke und Trisha Donnelly. Gruppenausstellungen der letzten Zeit umfassen in awe, Kunsthalle Exnergasse Wien; Kamilla Bischof, Hélène Fauquet, Till Megerle, Evelyn Plaschg, Galleria Acappella, Neapel; Mathis Altmann, Bonnie Camplin, Salvo, Amelie von Wulffen, Galerie Meyer Kainer, Wien und We need more than one term for these big things, Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Wien. Melanie Ohnemus arbeitet derzeit an Texten zum Wesen des Ausstellens.

01/14/2020

[i] Sandro Droschl (Hg.), Kamilla Bischof. Schön Vermählt, Künstlerbuch, Künstlerhaus – Halle für Kunst und Medien, Graz 2019, S. 24.

[ii] Ebd., S. 16.

[iii] Ebd., S. 24.

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