Karlheinz Lüdeking über Sara Cwynars Beitrag Soft Film in der Reihe "Raum D: Digitale Projekte"
Soft Film – schon der Titel ist grandios. Er evoziert so vieles, soft ice und soft soap und soft porn und software, man denkt an Kosmetik und Wellness, Entspannungsübungen, Flüsteratmosphäre, Hintergrundmusik, eine Welt in Pastellfarben, voll von geschmackvollen Accessoires und seltsamen Souvenirs, und schon verfängt man sich in gängigen Klischees von Weiblichkeit und femininer Sensibilität, doch ob das angemessen ist, fragt der Film sich selbst: A soft misogyny, könnte das sein?
Soft Film ist ein Film über Dinge. Es ist ein Film über Dinge, die wir alle kennen, und sein Umgang mit den Dingen ist tatsächlich „soft“ – nicht hart, nicht herrisch, nicht bestimmend, sondern sanft und behutsam. Man sieht Hände, die Dinge arrangieren, nebeneinander auf einer gelochten Platte, auch übereinander gestapelt auf einem Tuch aus Samt, aufgestellt im Glasregal oder direkt vor der Wand angeordnet. Die Konstellationen sind, so wie die Dinge selbst, stets fragmentarisch und fragil. Alles kann in sich zusammenbrechen, sogar die beiden Türme von Manhattan auf einer Ansichtskarte aus der Zeit, als sie noch standen. Fotos sind für Cwynar wie reale Dinge, denn beides sind Reliquien. Beide stützen die Erinnerung. „An aid to memory“ liest man einmal. Und „memory“, das Wort, ist da schon fast ganz abgescheuert.
Ebenso versehrt sind auch die Dinge, beschädigt, unvollständig und benutzt. Vor allem sind es Findelkinder, allesamt verlassen, verstoßen und entwurzelt. Die Künstlerin sucht sie im Internet, holt sie nach Haus und gewährt ihnen ein sicheres Asyl. Manche sind nach einem Todesfall allein. Andere wollte man einfach nur loswerden. Doch was geschah, ist jetzt nicht mehr erkenntlich. Da ist es auch kein Wunder, dass ein neuer Turnschuh, selbst gestaltet und geboren im Computer, nicht recht überzeugen kann. Er hat noch nichts erlebt. Die Dinge aber haben immer schon Geschichten. Doch diese kann man nur erahnen. Es schläft ein Lied in allen Dingen, das Zauberwort jedoch, das hat man lange schon vergessen.
Was diesen Dingen fehlt, so kann man sagen, ist die Beziehung zu einander. Sie fügen sich nicht mehr zum „Zeugganzen“. Das „Zeugganze“ ist ein Begriff von Martin Heidegger, dem großen Advokaten ganz normaler Dinge. Die Tasse steht allein im Schrank, und doch gehört sie zu den Tellern, zu den Löffeln und zur Kanne. Zu ihr gehört die ganze eingespielte Welt. Derartige Gemeinschaft gibt es bei Cwynar nicht. Die Dinge sind – so wie wir selbst – nur noch vereinzelt-einzelne. Die Hoffnung auf die selbstverständliche Ergänzung ist ein für alle Mal verloren. So trägt die eine Tasse immer noch eine Umhüllung aus transparentem Zellophan zum Schutz mit sich herum. Zudem ist vieles nur Fragment: Behälter sehen wir, die nichts mehr enthalten, Drehverschlüsse leerer Fläschchen für Arzneien, abgebrochene Griffe, Schmuckschatullen ohne Inhalt. Traumatisierte Singles sind sie, diese Dinge.
Doch damit baut man die private Wunderkammer. Hier füllt sie sich mit Unzulänglichem, mit Altem und mit Fehlerhaftem. Sogar der Film, auf dem das alles aufgenommen wurde, bevor man ihn dann doch noch digitalisierte, bestand aus altem Zelluloid: einem Material, das es im Grunde nicht mehr gibt. Und manchmal sieht man auch das ebenso schon längst nicht mehr moderne Instrument zum Messen der Belichtung und die Kamera, die dieses alles festgehalten hat. Ein wenig Nostalgie ist nicht zu übersehen, auch nicht der Wunsch, Verwundungen zu heilen. Die samtbesetzte Schachtel, die einst die Eheringe barg, wird immer noch so andachtsvoll geöffnet und geschlossen wie zuvor. Drei in der Hitze leicht verbogene Kerzen bilden eine schöne Schönheitslinie. Und schließlich findet auch die Tasse neben sich ein Buch, eine Tüte und irgendwas aus gelbem Kunststoff.
Der Ort, wo dieses Treffen möglich wird, ist eine Lochplatte wie Heimwerker sie gern verwenden, um ihre Werkzeuge schön übersichtlich zu bewahren. So übersichtlich sind die Dinge zwar hier nicht, um Ordnung geht es aber doch. Sie wird nicht einfach konstruiert, stattdessen fragt der Film nach ihrer Möglichkeit. Und dabei zeigt die Platte mit den Löchern nur das logische Gerüst von Paradigma und Syntagma, welches dann, mise en abyme, als kleines Kästchen wiederkehrt, bei dem man Gummiringe um die kleinen Pflöcke ziehen und so verschiedene Strukturen ausprobieren kann. Die Teller und die Tassen und die Kerzen jedoch: sie werden nicht zu Chiffren einer Hieroglyphenschrift. Zwar meint man manchmal, eine Ordnung zu erkennen: farbliche Verwandtschaften, formale Affinitäten und funktionale Äquivalenzen. Ein Ganzes wird aber nie daraus. So muss die Hand die mühsam aufgebaute Ordnung von Zeit zu Zeit doch immer wieder wegwischen.
Das unterscheidet diesen Film von anderen Werken unsrer Gegenwart, die ebenfalls der Frage nach dem Ding nachgehen. Camille Henrot, zum Beispiel, zeigt in dem Video „La Grosse Fatigue“ Recherchen in der Smithsonian Institution und sucht dabei wie selbstverständlich nach der wahren Ordnung. Gabriel Orozco reiht Dinge aneinander, die als Abfall unserer globalen Wirtschaft an einen Strand in Mexico geschwemmt sind. Simon Fujiwara stellt Bekanntes auf den Sockel und hofft, dass sich ein Kindersitz dabei zur rätselhaften Fratze wandelt. Deanne Shapton erfindet einen Katalog für die Auktion, in der sich alles soll versteigern lassen, was für den Aufstieg und den Fall einer romantischen Beziehung von Bedeutung war. Und Neil MacGregor erzählt, zwar nicht als Künstler, doch als Direktor eines Großmuseums, gleich die gesamte Weltgeschichte anhand von vierzig einzelnen Objekten.
Vor so viel ausgeprägter Zuversicht scheint Cwynars Film erst wirklich „soft“. Er ist sogar so soft, dass er noch nicht einmal das Streben nach bedeutungsvoller Ordnung ablehnt. So sehen wir, im Gegenteil, fortwährende Versuche, Beziehungen zu stiften. Bunte Tücher werden aufgespannt, Ansichtskarten an die Wand geklebt und kleine Büsten von Politikern zusammen hingestellt. Wenn dabei keine Evidenz entsteht, dann liegt das also nicht an Zaghaftig– und Bequemlichkeit. Es muss nicht immer Schwäche sein, wenn man sich weigert, Dinge wie Komparsen zu behandeln. Die Grenzen ihrer Ordnung zeigen sich jedoch erst dann, sobald man ernsthaft sich bemüht, sich ihr zu unterwerfen. Erst dann fällt auf, dass sich das reibungslose „Zeugganze“ letztendlich nur aus sturer Engstirnigkeit entsteht. Sara Cwynar ist daher zu loben, wenn sie versucht, die dinglichen Beziehungen möglichst offen zu gestalten. Ihr Soft Film ist ein kleines und zugleich grandioses Manifest gegen die Verhärtung und Erstarrung in der Welt der Dinge, zu der ja auch wir selbst gehören.